Auf Leben und Tod

Gestorben wird immer, nur  gesprochen wird darüber ungern. Vermutlich, weil der Mensch nicht mehr im Kreis seiner Angehörigen oder im Schoß religiösen Trostes stirbt, sondern zumeist an versteckter Stelle, vorwiegend allein und nur noch selten von jenseitigen Versprechen beschwichtigt.

Bei den meisten steht kein Trost mehr in der Sichtachse, der Blick aufs Ende wird beängstigend frei: Keiner überlebt das Leben. Und man muss alles hergeben, kann nichts mitnehmen, nicht mal seinen Körper. Dabei ist das Sterben nicht nur logisch notwendig, sondern vielleicht die beste Erfindung des Universums.

Doch in einer Zeit, da alles möglich scheint, die ewige Jugend propagiert wird und der medizinische Sieg über den Tod kurz bevor zu stehen scheint, wird alles versucht, das Leben solange wie möglich zu verlängern. Leider wird bei vermeintlich lebensverlängernden Maßnahmen oft die Lebensqualität unterschätzt. Und in wie weit die angebotenen medizinischen Leistungen tatsächlich dem Patienten helfen oder den Pharma- und Medizinunternehmen, diese Frage ist nicht immer eindeutig zu beantworten.

Alter, Pflege und Sterben haben gigantische Dienstleistungsangebote hervorgebracht. Wo einst eine „Gemeindeschwester“ und ein Arzt einen ganzen Ort versorgten, sind heute Scharen von spezialisierten Ärzten, mehrere Pflegedienste und Pflegeheime aktiv – und alle wollen Geld verdienen. Die Pflegeversicherung übernimmt einen Teil der Kosten, den Rest muss der Patient selber berappen, bzw. seine Angehörigen. Wer das teilweise ausschließen will, kann eine weitere Pflegeversicherung abschließen („Pflege-Bahr“), um den Privatanteil zu reduzieren – doch auch die reicht dann auch nicht.

Mancher alte Mensch weicht deshalb auf ferne Länder aus, wo er sich eine Pflege rund um die Uhr noch leisten kann – das Klima in Thailand ist zwar so völlig anders, aber hier hat man noch Zeit für den Patienten und muss nicht auf die Uhr schauen, um innerhalb der Fallpauschale zu bleiben. Oder Angehörige beschäftigen privat bezahlbare Damen aus den Ländern des Osten, sei es als sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis oder „schwarz“.

Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen? Zum einen sind es die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse, die dazu geführt haben, dass eine Familie von einem einzigen Einkommen die Lebenshaltungskosten nicht mehr bestreiten kann. Seit den 1960 er Jahren nimmt der Anteil der erwerbstätigen Frauen deshalb konstant zu. Doch seitdem ist da keine Zeit mehr für die Betreuung der Kinder und Alten –  Kinderkrippen, Kindergärten, Ganztagsschulen, Alten- und Pflegeheime sind die Konsequenz. All dies wird als Errungenschaft einer modernen Gesellschaft verkauft.

Zum anderen hat der rapide abnehmende Glaube (der positiv mit einem zunehmenden Glauben an Gott Mammon korreliert) an ein jenseitiges Leben dazu geführt, dass man sich umso fester an das hiesige klammert:

“Ich habe oft darüber nachgedacht, warum wir in einer Zeit, nach der sich die meisten später als der schönsten zurücksehnen, so enttäuscht vom Leben sind, dass wir schon wegen einer unerwiderten Liebe in Erwägung ziehen, auf den ganzen Rest zu verzichten; und warum wir dreißig oder vierzig Jahre später, wenn die Leidenschaften erlahmt und die Lieben entzaubert sind, wenn die Bilanz der Niederlagen und Erfolge fast abgeschlossen ist und Krankheiten und drohendes Siechtum die verbleibende Zeit schon verdüstern, warum wir dann so verbissen um jeden Tag kämpfen, martialische Operationen und Therapien erdulden, Gliedmaßen amputieren lassen, uns füttern und windeln lassen, nur noch um den Frühlingswind auf der trockenen Haut zu spüren, wenn er durch das offene Fenster bis an unser Krankenlager weht.” (Monika Maron)

Das ist offenbar die schöne neue Welt, in der wir nun leben – radix malorum est cupiditas.

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