Über das Schreiben

„Für was und für wen schreibt man?“, fragte einst Oskar Maria Graf und kommt zu dem Schluss, dass es die Aufgabe des Erzählers sei, „mit dem Schreiben das Unrecht der Welt, wo immer es sich auch zeigt, zu bekämpfen“. 

Es war der deutsche Philosoph Immanuel Kant, der das zeitlose Prinzip des „sapere aude“ formuliert hat. Wir sollten die menschliche Fähigkeit zum Denken und sich selber eine Meinung zu bilden nicht ausschließlich den Massenmedien und der veröffentlichten Meinung überlassen. Parallel zur öffentlichen Meinung notiere ich deshalb hier abweichende Meinungen, denn jede Gesellschaft braucht kritische Z(w)eitgeister – auch wenn Deutschland mit seinen Kritikern fast immer schonungslos umgegangen ist.

„Nichts ist schwerer und erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und zu sagen: „Nein!“ (Kurt Tucholsky)

Eine weitere Aufgabe dieses Blogs ist es, von Menschen, Orten und Dingen zu erzählen und das Vergangene im Spiegel der Erinnerung und Empfindung lebendig zu halten. Nicht immer vermögen wir dabei Personen im besten Lichte darzustellen, denn „(…) als Künstler zwingt Dich der Dämon zu beobachten, blitzschnell und mit einer schmerzlichen Bosheit, jede Einzelheit zu perzipieren, die im literarischen Sinne charakteristisch ist (…)“, wie einst Thomas Mann schrieb.

Nichts ist an sich ist gut oder böse, richtig oder falsch. Alles unterliegt dem Zeitgeist. Deshalb schreiben wir über alle und alles: „Den Guten, die immer auch ein wenig böse sind, und den Bösen, die auch von einer Mutter geboren wurden, habe ich zugehört.“ (Walter Kempowski)

Mit Gewissheit sind wir dabei einseitig: „Ich möchte immer die Seite derjenigen vertreten, die die Minorität sind. Das ist mein Anspruch, sozusagen mein selbstgegebener Auftrag. Die Mehrheit ist ja eh in der Mehrheit.“ (Klaus Maria Brandauer in : SZ 4./5. Mai 2013)

Martin Walser fasst seine politische Schreibtätigkeit so zusammen:

„Vor ein paar Jahren war wieder so eine Sache in der Zeitung. „Die deutschen Soldaten bleiben so und so lange in Afghanistan“, hieß es da, als sei das ganz normal. Da musste ich etwas schreiben. Dass die Deutschen keinen Krieg mehr führen dürfen, nicht mehr führen können, nicht mehr führen müssen – nach unseren Erfahrungen. 

Schon in der nächsten Zeitungsausgabe hat mir ein Staatssekretär von seiner ganzen Kompetenz aus geantwortet, warum ich davon zu wenig verstehe. Und der leitende Journalist antwortete mir, ich hätte meine militärischen Erfahrungen wahrscheinlich bei der Infanterie in Sonthofen gemacht – also: Ich verstehe davon nichts.

Aber wenn ich das nicht geschrieben hätte, hätte ich nicht schlafen können. Aber sobald ich das geschrieben hatte, wurde mir ein bisschen wohler. Und das ist im Grunde genommen immer mein Motiv. Das mag falsch sein oder lächerlich, aber es gibt immer wieder Themen – um es ein bisschen metaphorisch zu sagen – da kann ich nicht schlafen, wenn ich mich nicht dazu verhalten habe.“

Ähnlich, wie ein Maler ein Bild malt oder einen Steinhauer ein Skulptur meißelt, versuche ich die von mir wahrgenommene Welt zu „be-schreiben“. Schreiben beruhigt. Denn „Schreiben ist aufgeschobene Sterblichkeit„, schreibt Cees Nooteboom. Er muss es wissen. „Man versichert sich einerseits der Welt, aber man befreit sich auch von ihr. Es ist zugleich, denke ich, ein Heilungsprozess damit verbunden„, schreibt Peter Kurzeck.

Das Erzählenswerte ist die Abweichung. Das Auffällige gebiert Geschichten. Im Leben der meisten Menschen spielt sich etwas ab, das berichtenswert ist.
„Die Wahrheit nämlich ist den Menschen zumutbar.“ (Ingeborg Bachmann)