Ach, Du lieber Gott!

Als protestantisch getauftes Kind der 1950er Jahre wurde ich mit Nachgebet, Kindergottesdienst, Religionsunterricht und Konfirmation groß. Solchermaßen bibelfest trat ich mit Erreichen der Volljährigkeit sofort aus der Kirche aus.

Immerzu war in meiner Kindheit die Rede vom „lieben Gott“ gewesen, besonders in der Formulierung „Der liebe Gott sieht alles!“ Diese Form des „Über-Ich“ und der Überwachung waren überaus wirksam, nie habe ich es zum Beispiel gewagt, mein Pausenbrot wegzuwerfen.

Dass der „liebe Gott“ alles Andere als eben dieses war, wurde mir erst später bewusst – die Bibel selbst gibt uns ja Zeugnis, welch rachsüchtiger, gewalttätiger und nachtragender Geselle dieser christliche „liebe Gott“ vor allem war.

Enttäuschungen konnte er so gar nicht ertragen: Flugs verbannt er seine Geschöpfe Adam und Eva aus dem Paradies, als diese sich nicht an sein Verbot halten. Als dann die ersten Lügen entstehen, der erste (Bruder-) Mord, da schwant ihm, dass ihm seine Schöpfung Mensch gründlich misslungen ist – oder genau genommen zu gut gelungen ist, denn „Da schuf Gott den Menschen nach seinem Bild, als sein Ebenbild schuf er ihn“ (I. Mose 28)!

Er bereut, Erde und Menschen geschaffen zu  haben – und schickt die große Sintflut, vernichtet alle Lebewesen, Mann und Maus. Nur Noah und seine Familie sowie je ein Paar der Tiere werden gerettet.

Doch dann passt er seine Erwartungen offenbar an. Er verpflichtet sich selber, die ganze Bande nicht noch einmal zu ersäufen, sondern zu konzedieren, „dass das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens böse ist von Jugend auf“ (I. Mose 8,21). Und die biblische Geschichte setzt sich alldieweil munter fort mit Mord und Totschlag. Wer ihm nicht folgt, wird sofort und brutal vernichtet; die „himmlischen Heerscharen“ unterstützten ihn dabei – soweit zu unserem Engelbild. Man denke nur an Sodom und Gomorrha

Als Mose nach seinem Wutausbruch über das „Goldene Kalb“ ein zweites Mal mit dem „lieben Gott“ auf dem Berg Sinai wegen der „Zehn Gebote“ konferieren muss, will dieser sofort alle Israeliten im Tal vernichten. Mose kann ihn mit Mühe davon abhalten. Gott gibt sich mit 3000 Toten und einigen Seuchen vorerst zufrieden.

Nicht nur Abraham wollte er zwingen, ihm seinen Sohn Isaak zu opfern – er selber ließ seinen vorgeblichen Sohn auf brutale Weise sterben, was diesen verständlicher Weise fragen ließ, „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ (Mk 15,34; Mt 27,46).

Auch die Theodizee-Frage, die Frage also nach der Rechtfertigung Gottes angesichts des Leides in der Welt generell, stellte sich in besonderer Weise nach den Schrecken des Holocaust (vgl. auch „Theologie nach Auschwitz„).

Schade, dass kleine Kinder zum analytischen Denken noch nicht befähigt sind, sonst wäre schon viel früher Schluss mit der Illusion vom „lieben Gott“ gewesen!

Dieser Beitrag wurde unter Religion abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu Ach, Du lieber Gott!

  1. Dieter Seevers sagt:

    Es gibt ja Versuche zur Abhilfe….erwähnenswert sei hier z.b die Kinderbuchlektüre von
    Helge Nyncke und Michael Schmidt-Salomon:

    http://www.alibri-buecher.de/Buecher/Religionskritik/Nyncke-Schmidt-Salomon-Wo-bitte-gehts-zu-Gott-::214.html?XTCsid=sb70h30qoa3lgs2memq9s2pjb3

    Auch als kleines Mitbringsel bestens geeignet !

  2. Die Abkehr vom strafenden Gott zur Frohen Botschaft hat die Christen von den Juden getrennt. Die ersten paar hundert Jahre waren die Christen von den Juden kaum zu unterscheiden (natürlich nur für Aussenstehende nicht). Aber der wichtigste Unterschied ist meiner Meinung nach, daß man als Christ den „Gott Vater“ direkt anruft, als „Vater … im Himmel“, und der zweitwichtigste ist, daß jeder Mensch diesen Glauben annehmen kann, egal welcher Herkunft. Diese Reformation des Jüdischen Glaubens wurde dann zu dem was man heute als Christen versteht, mit all seinen Ausprägungen, wie von Herrn Heidtmann beschrieben. Mir gefällt die Abkehr von z.B. der jüdischen Todesstrafe des Gesetzes Mose, hin zum Pazifismus und die Toleranz gegenüber Andersgläubiger. Schade, dass viele Christen ihre eigene Religion nicht in dieser Weise erfahren und zum Teil genau das Gegenteil gelebt wird. Heutzutage haben wir die Möglichkeit fremde Kulturen und Religionen kennen zu lernen und unsere Heimat zu wählen, jedenfalls ich hatte diese Wahl.

Kommentare sind geschlossen.