Ein wandelndes Lexikon – zu Weihnachten?

So mancher bekommt zu Weihnachten ein Smartphone der neusten Generation geschenkt. Die Leistungsfähigkeit dieser kleinen Geräte übersteigt inzwischen unser Vorstellungsvermögen, und es gibt mehr „Apps“, als wir je werden nutzen können.

Doch seit es das Internet und Smartphones gibt, ist die allseits gebildete Persönlichkeit scheinbar am Ende. Jeder Kretin kann heute online das Wissen tausender Dissertationen oder wissenschaftlicher Fachartikel in Sekundenschnelle abrufen.

Keine gemütliche Tischrunde, bei der nicht irgendjemand sein Smartphone zückt, um etwas nachzuschauen, was gerade niemandem einfällt, zum Beispiel: Wann wurde Goethe geboren?

Es gibt kaum eine Situation des Lebensalltag mehr, in der das stets verfügbare Wissensarchiv des Internets nicht schnell zur Verfügung stände wie einst der Colt im Western. Keine Frage bleibt heute mehr unbeantwortet im Raum stehen, drei von vier Personen haben schon per Smartphone die Lösung gegoogelt. Halbwissen wird nun schnell hämisch entlarvt von Menschen, die nicht einmal die Hälfte wussten.

Vermutlich wird es dem Wissen ähnlich gehen wie dem Kopfrechnen: Seitdem es Taschenrechner gibt, hat die Fähigkeit, auch einfachste mathematische Operationen im Kopf vorzunehmen, drastisch abgenommen. Auch die Kassiererinnen in Geschäften sind des Rechnens entbunden: Die Kasse rechnet den herauszugebenden Betrag aus – manche bilden ihn auch noch optisch in Scheine und Münzen ab. Theoretisch könnte auch ein gelehriger Schimpanse künftig im Supermarkt kassieren – apropos, wer weiß, woher sich das Wort „kassieren“ historisch ableitet? Mal schnell googeln!

Doch Smartphonebesitzer sollten sich nicht zu früh freuen: Die Anhäufung von Wissen bzw. deren ständige Abrufbarkeit ist etwas anderes als die Zunahme von Erkenntnis. Denken ist sui generis (auch mal googeln!) etwas Anderes als sich etwas zu merken – wobei der gefällige Smartphonebenutzer sich ja nicht einmal die Mühe macht, auch nur das kleinste Detail zu memorieren. Heute ist ja alles „instant“.

Vom dritten und entscheidenden Schritt der menschlichen Hirnleistung, nämlich aus Informationen Zusammenhänge zu erkennen und analytisch Schlüsse für eigenes Handeln zu ziehen, wollen wir hier lieber gar nicht erst schreiben. Da hilft ein Smartphone leider so gar nicht. Oder noch nicht?

In diesem Sinne „Frohes Fest“ mit dem neuen Smartphone!

P.S.: Goethe wurde im Jahre 1749 geboren (und starb 1832).

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