Warum viele Deutsche die Schweiz verlassen

Die „Rheinische Post“ veröffentlichte am 15. Oktober 2013 einen Artikel mit dem Titel „Viele Deutsche verlassen die Schweiz“. Freund und Kollege Paul Rentsch aus Biel in der Schweiz nimmt dazu Stellung.

„Es stimmt, im Augenblick ist die Rückwanderung der Deutschen bei uns in der Schweiz ein Thema. Als die Zuwanderung hoch war, waren in Deutschland die beruflichen Perspektiven nicht gut. Jetzt herrscht auch in Deutschland ein großer Führungs- und Fachkräfte-Mangel. Aus Bayern kommen gar Regierungsvertreter mit Unternehmern nach Zürich und führen Anlässe für Deutsche durch, um sie zur Rückwanderung zu bewegen. Viele Deutsche wanderten in die Schweiz, weil sie hier einfach Arbeit fanden oder ihre Arbeit viel besser entlohnt wurde. Dann stellte sich aber, für viele überraschend, heraus, dass die Lebenshaltungskosten auch viel höher waren – unter dem Strich blieb also nicht so viel mehr übrig, wie erwartet. Das ist Fakt Nr. 1.

Fakt Nr. 2: Weil wir uns kulturell, vor allem sprachlich, so nahe stehen, wird erwartet, alles sei wie in Deutschland. Das ist es aber nicht. Wenn jemand nach China auswandert, der wirft den Chinesen auch nicht vor, dass sie anders ticken als sie selber und wenn er sich dort nicht wohl fühlt, dann kehrt er eben nach Hause zurück, wie die Deutschen jetzt bei uns. Ist doch ganz in Ordnung so.

Fakt Nr. 3: Es gibt viele Deutsche, die sich in der Schweiz wohlfühlen und sich bestens integriert und angepasst haben. Ich kenne keine Untersuchung darüber, ob sich Deutsche in der Schweiz öfter unwohl fühlen als andere Fremde oder ob sie sich in anderen Länder häufiger beliebt vorkommen, als in der Schweiz.

Fakt Nr. 4: Die Zuwanderung aus Deutschland ist immer noch höher als die Abwanderung. Aber die Abwanderung hat zugenommen. Im Moment haben wir eine höhere Zuwanderungsquoten aus südlichen EU-Länder. Diese zu integrieren, ist aus sprachlichen Gründen schwieriger und dauert länger. Wie diese sich bei uns fühlen, weiß ich nicht, aber ich bin sicher, wenn dort die Wirtschaft wieder Tritt fasst und sie ihren Fachkräften selber wieder eine gute Perspektive bieten können, wird auch unter ihnen eine Rückwanderungswelle einsetzen.

Aus meiner Sicht sind die Rückwanderer Deutsche, die sich nicht integrieren können oder wollen. Da finde ich es auch ganz legitim und in Ordnung, wenn sie an einen Ort ziehen, wo sie sich wohlfühlen. Aber das sollte nicht aus der Perspektive geschehen, „die Schweizer sind öde, deswegen gehe ich wieder“. Die bessere Sichtweise wäre: „Ich konnte mich mit der Schweizer Art nicht anfreunden“ – ohne diese zu beurteilen. Ist natürlich nicht schlagzeilenträchtig.

Fakt Nr. 5: Wenn eine deutsche Führungskraft in der Schweiz mit: „Mir nach Marsch“ daher kommt und auf Fragen beleidigt reagiert, sich persönlich in Frage gestellt fühlt, nur weil jemand gewagt hat, zu fragen, statt einfach zu folgen, der erntet halt Hohngelächter. Hinter dem Rücken natürlich. Es wird ihm auch gesagt, aber so formvollendet, dass er nicht merkt, dass man ihn gebeten hat, sein Verhalten zu ändern.

Fakt Nr. 6: Dass in der Schweiz eine gewisse Fremdenfeindlichkeit herrscht, stimmt. Aber die richtet sich nicht gegen die Deutschen, sondern gegen die Fremden generell. Ein Grund dafür ist, dass in vielen Schweizer Städten der Ausländeranteil über 30% erreicht hat, in Kreuzlingen sind es 51%.

Fakt Nr. 7: Zur Aussage, dass Kritik von Schweizern in formvollendete Floskeln verpackt werden, kann man sagen: Ja, es stimmt. Außer den Deutschen sagt in der Schweiz niemand „Du bist ein A …“. Ein Schweizer würde vielleicht sagen: „Wenn ich Dir ein Körperteil zuordnen müsste, dann würde ich vermutlich eher im unteren Körperbereich etwas Passendes finden, als im oberen.“ Der Schweizer würde dann fragen: „Du meinst wohl A … – oder?“ und kriegte dann zur Antwort – „Na ja, das wäre eine Möglichkeit, zwar nur eine von mehreren, aber es wird schon einen Grund geben, dass Dir gerade diese, ganz spontan, als Erste einfiel.“

Auch in Frankreich würden nur Deutsche sagen: „Du bist ein A …“. Der Franzose würde sagen: „Tu es un enculé.“ Das verstehen viele Deutsche auch nicht, ohne die französische Sprache gelernt zu haben, und das, obwohl Frankreich, im Gegensatz zur Schweiz, zur EU gehört. Angenommen die Franzosen würden deutsch verstehen, könnten aber nicht deutsch reden, so müssten die Deutschen trotzdem Französisch lernen, weil sie sonst nicht verstehen würden, was die Franzosen sagen.

Analog: Die Deutschen müssen nicht Schweizerdeutsch sprechen lernen, klingt eh abscheulich, und wir verstehen sie ja. Aber um die Schweizer zu verstehen, müssen sie in Gottes Namen trotzdem Schweizerdeutsch lernen, nicht nur die Worte auch den Sprachgebrauch. Dafür gibt es wirklich Kurse und sie werden auch von Deutschen besucht, vermutlich von denen, die dann bleiben. Solche gibt es ja auch. Viele.

Aber im Moment sind halt nicht sie das Thema, sondern die Rückwanderer und die sozial kalten Schweizer – diese Steuerbetrüger. Dabei helfen wir ja nur anderen Leuten ihr Vermögen vor der staatlichen Gier zu retten. In der Vergangenheit haben wir den Steuervögten Mistgabeln in die Sitzgegend gesteckt, weil sie einen Zehnten als Steuern eintreiben wollten. Das war der Urknall für die Steueroptimierung in der Schweiz. Diese hat also eine lange Tradition, weit ins Mittelalter zurück.“

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