Nachdem die Siegermächte dem nationalsozialistischen Greuel ein Ende gesetzt hatten, machten die westlichen Alliierten unter der Führung der USA bereits vor Ende des II. Weltkrieges einen neuen Feind aus: Die Sowjetunion.
In manchem US-amerikanischen Politiker keimte der Verdacht auf, den falschen Feind niedergerungen zu haben. Denn schlimmer noch als ein diktatorisches nationalsozialistisches Deutschland wäre für sie eine vom Kommunismus regierte Welt.
Man hat daher nicht lange gewartet, um eine Antwort auf die neuen Weltlage zu geben. Die Pläne für ein für alle Zeit befriedetes und gar nur noch agrarisches („Morgenthau-Plan“) Deutschland verschwanden alsbald in der Schublade. Es war klar, dass West-Deutschland zum Frontstaat zwischen den Ost- und Westmächten werden müsse. Care-Pakete wurden geschnürt und neue Aufmarschpläne skizziert.
Waren zunächst noch sozialistische und pazifistische Ideale in den Programmen aller politischer Parteien der jungen BRD zu entdecken gewesen, verschwanden diese – zum Teil verschämt – auf den nächsten Parteitagen aus den Statuten.
Die BRD musste schnellstmöglich wieder aufgebaut und wieder aufgerüstet werden. Galt einige Jahre noch die Parole, dass nie wieder Krieg von deutschem Boden ausgehen solle, wurden 1956 die ersten Soldaten in die neu gegründete Bundeswehr einberufen.
Bereits im Jahr 1949 hatte es nach den anfänglichen Besetzungen von Spitzenpositionen durch NS-Verfolgte und Angehörige des Widerstands und Entnazifizierungsprogrammen eine plötzliche Rehabilitierung der alten Funktionseliten gegeben – sie wurden wieder dringend gebraucht. Parallel dazu suchte man einen Staatsmann, dem sein Geschwätz von gestern egal war und fand ihn in Konrad Adenauer, dem ersten betagten Kanzler der jungen Republik.
Durch den nach diesem ersten Kanzler benannten „Adenauer-Erlass“ (durch den vor allem Kommunisten aus öffentlichen Ämtern ferngehalten werden sollten) vom 19. September 1950 verdrängten im Handumdrehen die „49er“ die „45er“, da nun die ehemaligen Nazi-Funktionäre als geeignet erachtet wurden, politisch und fachlich ihren Dienst in der neuen Demokratie zu leisten. Belastete wie Mitläufer saßen alsbald wieder in den öffentlichen Institution wie Polizei und Justiz. Man erinnert sich an den „Marinerichter“ Filbinger oder den Ex-Nazi Georg Kiesinger, Staatssekretär Globke usw. Sie alles dachten naturgemäß anders über potenziell gefährliche Bürger als jene, die von den Nazis verfolgt worden waren.
Fernzuhalten galt es nun jene linken Kräfte der ersten Stunde. Das KPD-Verbot folgte alsbald im Jahre 1956 als zweites Parteienverbot, später im Jahre 1972 wurden dann von der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt gemäß dem „Radikalenerlass“ die „Berufsverbote“ gesetzlich geregelt, die dafür sorgen sollten, dass Tausende von Linken nicht in Staatsämter gelangten. Bis 1982 mussten sich 3,5 Millionen Bewerber für den öffentlichen Dienst auf ihre Gesinnung überprüfen lassen, rund 10.000 Berufsverbote wurden ausgesprochen – bis hin zu skurrilen Fällen wie Lokführern. Willy Brandt soll diese Entscheidung später angeblich bedauert haben, sein Nachfolger Schmidt wohl eher nicht.
Ganz reibungslos konnte dieser Paradigmenwechsel bzw. enorme Verdrängungsleistung nicht gehen: So trat zum Beispiel Gustav Heinemann von seinem Amt als Innenminister im Kabinett Adenauer zurück, weil seine Sorgen, dass die alten Eliten dem jungen Staat schaden könnten, überhört wurden. Auch der Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein bekam es im Jahre 1962 zu spüren, dass die Recherchen seines Blatts in den Biographien von Staatsdienern nicht erwünscht waren, er musste einige Zeit einsitzen – heute wäre so ein politisches Manöver wohl kaum mehr machbar.
Mancher wird sich fragen, wieso diese Phobie vor allem was „links“ war offenbar faktisch zu keiner Zeit in der gleichen Weise für die rechte Szene gegolten hat. Doch angesichts der unerwarteten Entwicklungen in den ersten Jahren der Bundesrepublik wundert eine solche Haltung nicht. Und genau das will der Begriff „Kontinuitätsproblem“ verdeutlichen: Die alten Mächte waren schon schnell wieder die neuen Mächte. Nur waren die Mäntelchen nicht mehr braun.
Die Institutionen des Rechtsstaats hätten eben ein Unvermögen, „sich selbst als Bedrohung zu sehen„, schreibt Dominik Rigoll passend dazu in seinem soeben erschienenen Buch „Staatsschutz in Westdeutschland„.