Neues aus Büttenwarder

Wir befinden uns etwa im Jahre 2000 nach unserer Zeitrechung. Ganz Deutschland ist von „Stadtschinken“ in „Vollblechtreckern“ besetzt. Ganz Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Norddeutschen bevölkertes Dorf hört nicht auf, diesen Eindringlingen und der Nachbargemeinde Klingsiel Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die Eindringlinge, die nach Büttenwarder kommen …

Die Kultserie „Neues aus Büttenwarder“ des NDR umfasst in nun bereits 15 Jahren inzwischen knapp 50 Titel und hat damit Asterix und Obelix überholt. Grund genug, einmal nach dem Erfolgsrezept zu fragen. Wie in Kinderbüchern von Astrid Lindgren, Enid Blyton oder anderen haben wir es mit einer Gruppe von – in diesem Fall – großen Kindern zu tun. Und ein bisschen erinnern sie uns an die Teletubbies, wenn die Bauern Brakelmann und Tönnsen über die schier endlos grünen Wiesen Schlewig-Holsteins staksen – nur dass sie nicht ständig „Oh-oh!“ sagen.

Denn auch wenn die fünf Hauptakteure Kurt Brakelmann, Adsche (Arthur) Tönnsen, Bürgermeister Waldemar Schönbiehl, Kuno Eggers und Shorty (von Letzterem ist der vollständige Name immer noch unbekannt) bereits im reifen Mannesalter sind, so ist ihr Denken und Handeln doch kindlich geblieben – dass sie dem Alkohol ständig und gerne zusprechen, gehört nun einmal zur Erwachsenenrolle. Natürlich gibt es auch einen Polizisten namens Peter, passend zum „Ambiende“ – das besonders Kurt Brakelmann so wichtig ist –  im VW Käfer.

Anders als in den Kinderbanden spielen Frauen in den 25 Minuten langen Geschichten aus Büttenwarder, wenn überhaupt, dann nur Nebenrollen. Ingelore, die Frau des Bürgermeisters, wird zwar hin und wieder erwähnt, ist aber in 49 Folgen noch nie in personam aufgetaucht.  Shorty, tatsächlich übrigens der Längste von allen, war fünf Mal verheiratet und ist offenbar fünf Mal an den Frauen gescheitert. Brakelmann und Adsche waren nie verheiratet und erinnern sich nur manchmal vage und versonnen an Gerlinde Ködenbrök, mit den sie beide – natürlich unabhängig voneinander – mal „erotisch waren“. Kuno kennt als Frau nur seine „Muddi„.

Taucht einmal eine weibliches Wesen auf, so ist sie meist sehr resolut, ein richtiger stereotyper „Besen“ eben – und damit Begründung genug, das Thema der Frauenabstinenz in Büttenwarder ein für alle Mal deutlich zu machen. Dass die jeweilige Dame am Ende einer Episode wieder abdampft, ist selbstredend. In dieser Männerrunde kann sich keine Frau lange halten.

Die beiden Hauptspielorte sind der „Dorfkrug“ („Unter den Linden“) und Kurt Brakelmanns heruntergekommener Bauernhof, auf dem außer Hühnern keine Tiere mehr leben. Nebenschauplätze sind das Altenheim, wo Adsches dauerhaft hundertjähriger Onkel Krischan lebt, sowie hin und wieder Schönbiehls Haus, der seinen Lebensunterhalt als Notar verdient. Er ist sowohl vom Lebensalter als auch stets adretten persönlichem Auftritt die „graue Eminenz“ der Serie und der Einzige, der alle und alles immer durchschaut.

Im Dorfkrug ist das Zentrum der Macht. Hier verkehren ausschließlich – ältere – Männer. Nur selten verirrt sich einmal ein fremder Gast hier her. So wie Kinder ihren Kindergarten haben, kommen die Büttenwarder Männer hier täglich bei „Lütt un Lütt“ – von Brakelmann auch manchmal „Gedeck“ genannt – in Shortys Dorfkrug zusammen. Hier ist also in jeder Hinsicht das geistige Zentrum Büttenwarders. Das übliche Grußwort, wenn man den Dorfkrug betritt, lautet „Moin!“ – und das heißt so viel wie „Guten Morgen, alles wohlauf hier?“

So wie nach Karl Marx die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft die Geschichte von Klassenkämpfen ist oder der Himmel als Kontrast die Hölle braucht, so lebt Büttenwarder in ständiger Bedrohung des erfolgreichen Nachbarorts Klingsiel. Von dort kommt alles Moderne – und damit Böse. Kurt Brakelmann, Adsche Tönnsen und ihre Mannen setzen alles daran, ihre kleine, heile Büttenwarder Welt gegen den Moloch Klingsiel zu bewahren.

Nichts schätzen die Büttenwarder Männer so sehr, wie ihre Freiheit, die wundersamer Weise auch meist „Freiheit von Arbeit“ bedeutet. Wovon die abgewirtschafteten Bauern Brakelmann und Adsche letztlich ihren Lebensunterhalt und ihre „Deckel“ bei Shorty bezahlen, bleibt ebenso ein Geheimnis wie der scheinbar nicht alternde Dackel Hartmut des Bürgermeisters.

Dass Brakelmann und Adsche ständig über mögliche „Nennwerte“ sinnieren, verhieß in bisher 49 Folgen leider keinen nachhaltigen materiellen Erfolg. Dabei hat Kurt Brakelmann ständig kreative Einfälle, wie man denn zu Geld kommen könnte. Adsche bemerkt solche Gehirnaktivitäten seines Freundes immer sofort und erkennt: „Brakelmann, bei Dir ist das wieder am Arbeiten!“ Meistens vereinbaren die Beiden dann „Fifty-fifty“ zu machen, was dem gerissenen Brakelmann aber nicht davon abhält, seinen geistig etwas minderbemittelten Freund Adsche dennoch übers Ohr zu hauen.

Und so korreliert die Utopie wahrer Freundschaft mit dem fiktiven Ort Büttenwarder: Es ist für alle selbstredend, dass der Eine den Anderen ausnutzt. Nickeligkeiten und Intrigen sind an der Tagesordnung. Man muss nur „gewieft“ genug sein, um die Anderen und ihre Absichten zu durchschauen – schließlich kennt man sich ja lange genug! Und vielleicht ist das auch das Erfolgsrezept von Büttenwarder: Ein Un-Ort, an dem die Zeit seit 50 Jahren still zu stehen scheint, und in dem die Menschen weder altern noch sich verändern wollen. „Eine Weltkarte, die das Land Utopia nicht verzeichnet, ist keinen einzigen Blick wert!“ (Konstantin Wecker) – wie wahr!

Am Ende jeder Episode sind alle auch trotz mannigfaltigen Schabernacks wieder versöhnt. Und wie einst Luky Luck latschen Brakelmann und Adsche über die grünen Wiesen Büttenwarders in Richtung Horizont und sinnieren darüber, dass das Leben eigentlich doch ganz schön sein kann.

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