Alle Jahre wieder

Melchiorshausen ist im Gegensatz zu Bielefeld keine Erfindung. Den Ort gibt es wirklich – und nicht nur zur Weihnachtszeit! Ähnlich wie in Büttenwarder sind auch hier die Weihnachtsvorbereitungen im vollen Gange.

Gewiss wird noch jemand die Nveren verlieren. Es ging ja gestern schon los: Baum auf einen Tisch stellen oder auf dem Boden lassen? Weil er dieses Jahr doch etwas kleiner ausgefallen ist! Abstimmungsergebnis nach längerer vehementer aber fruchtloser Diskussion: 4:1 für ohne Tisch.

Die Frau quengelt: Wir müssen UNBEDINGT noch eben schnell einkaufen – wir haben ja GAR-NICHTS mehr im Hause! An der Kasse: Kann man hier bargeldlos zahlen? Doch nicht im Bioland-Laden! „Hast Du Geld mit?“ – „Nö!“ – „Na, das wird ja ein Monat!“

Haben wir auch nichts vergessen? Brötchen beim Bäcker abgeholt? Milch, Mehl, Eier, Toilettenpapier, was fehlt noch? Küchenrollen! Das Altglas muss auch noch weg!

Noch schnell die Geschenke einpacken. Wer hat den Tesa-Filmabroller? Ist der Tannenbaum endlich fertig? Kugeln suchen. Wo ist denn die Tannenbaumspitze von Oma geblieben? Na, ein bisschen kahl isser ja schon in der Mitte. „Warum haben wir dieses Jahr nicht die Pyramide aufgebaut? Das ist doch immer so zeitgeistig witzig, wenn die alle im Kreis rennen!“ – „Mama, wir brauchen unbedingt neue Plöngel zum Aufhängen der Baumkugeln!“ – „Haben wir doch!“ – „Wo denn? Ich kann die nirgends finden!“

Verflixt, das Geschenk für Mama ist ja noch gar nicht eingepackt! Geschenkpapier? Fehlanzeige! Wer hat das abgeräumt? Kann doch gar nicht sein! Nur noch mit Osterhasen vorrätig. Die Tochter skandiert: „Wieso hast Du die Aufnahme von Inspector Barnaby gelöscht? Die hatte ich doch Krissi versprochen! Oh, nee, ne!“

Noch schnell staubsaugen. Und: Kaminfenster reinigen! „War schon mal jemand mit dem Hund Gassi?“ Mist, das Buch von amazon hat es wohl doch nicht mehr geschafft! Wir hätten amazon prime DOCH verlängern sollen!  – „Mami, kann ich noch mal eben den Wagen haben?“

Ein Kind ist endlich aufgestanden. Ein anderes kommt um 15:00 endlich Uhr pfeifend heim – Mensch, wir wollten doch noch … Das dritte Kind muss noch mal eben zu Anna. „Kann ich ne Flasch Wein mitnehmen?“ Die angehende Schwiegertochter schneit gegen 16:00 Uhr rein. Bei ihr daheim wird auch noch gesucht, gebastelt und am Weihnachtsbaum improvisiert. Die Frau verkündet, sie ginge jetzt nach oben, sonst bekäme sie das alles nicht mehr geregelt. Wahrscheinlich packt sie JETZT Weihnachtsgeschenke ein – unsere Expertin in „last minute“!

Jetzt noch mals eben noch schnell die E-Mails checken. Wer schreibt denn da? Jede Menge Post! Das MUSS man doch noch beantworten! Freunde, Bekannte, Kunden – alle lassen noch schnell ein paar Zeilen los. Die Server dieser Welt quietschen garantiert auf Höchstlast!

Die halbe Familie röchelt und pfeift aus dem letzten Loch. Es wird furchtbar werden! Aber der Essensplan für die kommende Tage steht soweit. Immerhin! Das hat in den vergangenen Jahren immer die Stimmung gerettet! Ouh, der Rotwein muss ja noch aus dem Keller ins warme Zimmer zum Temperieren verbracht werden! Seit dem Frühstück habe ich nichts mehr gegessen. Wieso gab es heute eigentlich kein Mittagsessen?

Was bin ich froh, dass kein Kind mehr an den/das Weihnachtsmann glaubt! Jetzt kann man die Geschenke schon mal halb-öffentlich rechtzeitig unter, naja, besser neben den Baum stellen – er ist ja, wie gesagt, etwas klein dieses Jahr. Welcher Vollpfosten hat das eigentlich verbockt, he? „Nächstes Jahr kaufe ICH aber den Tannenbaum!“ Ja-ja! Und die Kinder muss man nachher auch nicht mehr ablenken. – „Oh, stell doch mal das Geduldel ab! Ich kann diese Bravo-Weihnachts-CD nicht mehr hören!“

Um 23:00 Uhr könnte der christliche Teil der Familie doch mal in die Kirche gehen. Hat man ja das ganze Jahr nicht geschafft! Wie? „Wer geht mit?“ – „…“ (Stille Nacht). „Nächstes Jahr flieg ich in den Süden! Ohne Euch!“ Ist das nun ein Versprechen oder eine Drohung? Na, egal, wenigstens der Tisch ist schon festlich gedeckt! Man könnte doch vielleicht schon mal einen kleinen Sherry … Der Konjunktiv ist richtig: Der Sherry ist alle.

Warum tut wir uns das nur jedes Jahr wieder an? Die Antwort lautet: Wir alle sehnen uns nach Geborgenheit. Und für ein paar Tage bekommen wir zumindest stundenweise und in Ansätzen eine kleine Ahnung davon, wie sich das anfühlt. Dazu muss es draußen zwingend kalt und dunkel sein und drinnen die Lichter brennen. Und dazu gehören auch Geschenke als Ausdruck gegenseitiger Wertschätzung, gemeinsam zu essen und trinken, miteinander zu feiern. Gäbe es Weihnachten nicht, würde etwas Wichtiges fehlen.

In diesem Sinne: Besinnliche Tage!

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