Interventionen – Barlach in Münster – Apostelkirche

Foto: hwk

Ich betrete die älteste gotische Hallenkirche zu Münster (von Franziskanermönchen errichtet). Es ist eine helle Kirche mit einer wechselvollen Geschichte. In ihr befinden sich viele Skulpturen von Ernst Barlach, aber auch Zeichnungen, Holzschnitte und große Textfahnen zum Lebenslauf des Künstlers.

Ein Video (dieses wird ebenfalls in der Dominikaner Kirche und dem Museum für Lackkunst gezeigt) zeigt den Lebensweg von Ernst Barlach und lässt seine Werke optisch und akustisch nachvollziehen.

Einige Textfahnen informieren die Besucher in chronologischer Reihenfolge über den Lebensweg mit wichtigen und prägenden Erlebnissen. Hier erfahren die Interessierten viel über den Mystiker und Visionär. Einen Ernst Barlach, der einen tiefen Bezug zu einem ihm eigenen Glauben hatte und diesen in vielen Skulpturen verdeutlichte. Hier finden wir u.a. den „Geistkämpfer“ – „Mutter Erde II“ – eine „Pieta“ – den „lehrenden Christus“.

Der „Geistkämpfer“ zum Beispiel entstand auf Grund eines Auftrages der Stadt Kiel zur Erstellung einer Bronzeplastik. Im Jahre 1928 wurde das 4,60m hohe Denkmal als zweite Großplastik aufgestellt. Der Erzengel Michael steht mit erhobenem Schwert auf dem Rücken eines gebändigten Tieres. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Bronzeplastik als entartete Kunst bezeichnet. Viele der Arbeiten von Ernst Barlach fielen diesem Begriff  zum Opfer. Wie lächerlich das war, mag folgende Deutung der Nationalsozialisten belegen:

„Kaum ein Kieler wisse, „dass, wenn man einen alten Mann mit langem Mantel und do. Säbel auf einen großen Hund stellt, breitbeinig natürlich, damit er dem Hund nicht das Kreuz bricht, und wenn man dem Hund dann noch eine große Säge unter den Bauch hängt (Bitte überzeugen Sie sich!), dass das doch ganz selbstverständlich gar nichts anderes bedeuten kann als: ’Der Sieg des Ideellen!“ (Auszug aus „Kieler Erinnerungen“ der Landhauptstadt Kiel). Niemand kann heute verstehen, warum die Arbeiten von Ernst Barlach als entartet eingestuft wurden.

So hat Ernst Barlach wie fast alle Deutschen heroisch den 1. Weltkrieg jubelnd begrüßt. Erste Erfahrungen und Bilder von den Schlachtfeldern haben bei ihm schnell zu einer völligen Gradwandlung geführt. Er erkannte den Schmerz und Schrecken, das unfassbare Leid, das dieser Krieg gebracht hat. Unzählige Zeichnungen und Plastiken erzählen von diesem Leid. Dieses gilt letztlich ebenso für seine Dramen.

Eine Darstellung von Leid und Not – ganz egal ob eine Mutter, der Soldat oder das bettelnde Volk – passten nicht in das Bild der sogenannten „Helden“ des ersten Weltkrieges. Seine Werke wurden als „bolschewistisch“ verunglimpft, und er galt als „Kulturschänder“. Man versuchte „jüdisches Blut“ in seinen Adern nachzuweisen. Er erhielt keine öffentlichen Aufträge mehr. Große Teile seiner Werke verschwanden, wurden eingeschmolzen, verbrannt oder vernichtet.

Dieses Schicksal sollte auch der „Geistkämpfer“ teilen; doch er wurde gerettet, in verschiedene Teile zersägt, auf einem Bauernhof versteckt und überlebte er das 3. Reich. Nach schwierigen Verhandlungen kehrte er im Jahre 1953 wieder nach Kiel zurück und steht seitdem vor der Nikolaikirche am „Alten Markt“. Ein Abguss befindet sich im „Institute of Arts in Minneapolis“, sowie an der Gethsemanekirche in Berlin-Prenzlauer Berg (5. Jahrestag des Mauerfalls).

Immer wieder begegnet man in seinen Werken dem Schmerz von Trauernden und Notleidenden. So wurden viele Skulpturen verboten, weil dabei auch immer leidende Soldaten gezeigt wurden (zum Beispiel der „Pieta“ oder auch dem „Magdeburger Denkmal“). Beim Betrachten wird man gefangen von der enormen Aussagekraft und der Ausstrahlung der dargestellten Personen. In vielen seiner Zeichnungen findet man die Entwicklung mancher Skulpturen bis zum fertigen Produkt.

Ernst Barlach, das ist ein Künstler der durch viele Auszeichnungen die höchsten Weihen erhielt, und auf dem Gipfel seiner Anerkennung und seines Schaffens den jähen Absturz in die Schmähung und Vernichtung erleben musste.

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