Zum Jahreswechsel – „Was ist die Zeit?“

„Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von Kaiser Augustus erging, den ganzen Erdkreis aufzeichnen zu lassen. Diese Aufzeichnung war die erste und geschah, als Quirinius Landpfleger in Syrien war.“ (Luk 2)

Ereignisse wurden einst nicht durch Daten, sondern durch Zuordnung zu Ereignissen fixiert, die davor oder danach stattfanden .

Erst der Julianische Kalender (45 v. Chr.) brachte Präzision. Bis dahin hatte das Jahr nur 355, fortan 365 Tage. Julius Cäsar war es auch, der die Monate Januar und Februar einführte, nachdem das Jahr bis dahin nur zehn Monate maß und mit dem Monat März begann. Das allerdings bescherte dem ersten Jahr der neuen Zeitrechnung ganze 445 Tage, um den Kalender mit dem Lauf der Sonne zu synchronisieren. Daher ist der älteste bekannte Weihnachtstermin auch der 6. Januar  (Epiphanias – eine Epiphanie ist eine Gotteserscheinung). Das Fest wurde im 4. Jahrhundert um zwölf Tage vorverlegt. Doch erinnert der 6. Januar mit „Heilige Drei Könige“ immer noch daran, dass Weihnachten offenbar vorverlegt worden sein muss – denn die Chronologie stimmt so ja nicht.

Im 16. Jahrhundert wurde der Julianische vom noch genaueren Gregorianischen Kalender abgelöst. Seitdem fehlen ganze zehn Tage, die übersprungen werden mussten, weil der juliansche Kalender zwar von 365,25 Tagen ausging, aber damit eben immer noch nicht genau genug war (es war 11 Minuten zu lang). Alle 130 Jahre verschob sich dadurch Frühlingsbeginn um einen Tag. Erst 1949 führte China den Gregorianischen Kalender ein.

Im 15. Jahrhundert wurde die himmlische Zeitordnung nach und nach durch eine irdische ersetzt und Gott aufs Altenteil geschoben. Die Mächtigen des Landes erklärten sich nun für zuständig für die Zeit und waren nicht zimperlich, wen es darum ging, den Untertanen die Uhrzeit nahe zu bringen. Der Blick in den Himmel wurde abgelöst vom Blick auf die (Kirch) Turmuhr.

Es war die Zeit der ersten mechanischen Uhren. Das Wort „Torschlusspanik“ bezeichnete die Angst derjenigen, die mit der neuen irdischen Zeitansage Folge zu leisten. Wer nicht rechtzeitig von den vor den Stadttoren liegenden Feldern zurückkam, musste außerhalb der Tore übernachten.

Die Griechen hatten übrigens bei den von ihnen erfundenen olympischen Wettkämpfen weder die Weite des Speerwurfs noch die Geschwindigkeit des Läufers gemessen – sie konnten es auch gar nicht.

Auch die bäurische Sprache weist heute noch grobe Zeitberechnung aus: Ein Morgen, ein Tagewerk. Und es reichte, wenn man sich „bei Anbruch der Nacht“ oder „bei Sonnenaufgang“ oder „zur Mittagszeit“ verabredete. Man ging mit den Hühnern ins Bett und stand beim ersten Hahnenschrei wieder auf.

Doch die Uhr hat ihre Zukunft bereits hinter sich. Ihr droht ein ähnliches Schicksal, wie es Pferde und Segelschiffe bereits hinter sich haben. Nachdem überall und jederzeit telefoniert werden kann, und alle überall erreichbar sind, findet eine Entgrenzung von Raum und Zeit statt. Softwareprojekte werden im 21. Jahrhundert rund um den Globus weitergereicht. Es wird bald nicht mehr wichtig sein, um 8:00 Uhr an einem Arbeitsplatz zu erscheinen.

Die Abkehr vom heiligen zum eiligen Geist hinterlässt Spuren. Die einst äußeren Zwänge werden zunehmend nach innen verlagert. Jeder ist seines Glückes Schmied. Laptop und mobiles Telefon üben eine extensivere Form der Zeitherrschaft aus, als man es von der Uhr gewohnt war. Das iPhone kommt unters Kopfkissen, die Grenze von Arbeit und Leben verschwimmt. Die traditionellen Formen der Arbeitsteilung geraten ins Wanken und lösen sich teilweise auf. Das Motto lautet nun: Alles zu jeder Zeit! Im Personalausweis kommt der Beruf nicht mehr vor. Das Paradies wird irdisch zum Bade-, Back, Einkaufs-, Betten-, Steuer- oder Wellnessparadies.

Was also ist denn nun eigentlich die Zeit? Thomas Mann antwortet in seinem Zauberberg: „Ein Geheimnis, wesenlos und allmächtig.“

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Eine Antwort zu Zum Jahreswechsel – „Was ist die Zeit?“

  1. Magx sagt:

    … dann ist es schön, dass es noch Orte gibt, an denen man die Zeit „vergessen“ kann und sich dem natürlichem Rhythmus von Tag und Nacht hingeben kann. Das ist Wellness für die Seele. Und vielleicht auf irgendeine Art auch sehr nah am Paradies.

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