Ruf doch mal an! – Ade Telefon?

Objekt mit antiquarischem Wert? (Foto: khh)

 

Wenn das Festnetztelefon heute privat tagsüber klingelt, dann meist nur, wenn dubiose Firmen Gewinnversprechen per Computerstimme ansagen, irgendjemand unsere Meinung zu irgendetwas wissen will oder uns Telefongesellschaften zu einem (Tarif-) Wechsel auffordern wollen.  

Wer hätte das gedacht – vor,  sagen wir einmal zehn Jahren – dass wir tendenziell nur noch über virtuelles Schreiben miteinander kommunizieren: eMail, SMS, Statuszeile, Twitter-Feeds usw.  

Mit wem telefonieren wir denn heute noch privat? Ich zum Beispiel mit Madeleine in Paris – sie ist 84 Jahre alt. Mit meiner Patentante Anni – sie ist 90 Jahre alt. Mit meiner Großtante Leni – sie ist 76 Jahr alt. Bis vor wenigen Monaten mit meiner Mutter (89). Manchmal telefoniere ich noch mit Freund Helmut (62), Freund Robert (54), Freund Ted (bald 60) oder meinem Winzerfreund Rudi (72). Aber sonst? Ja, sonst schreiben wir einander – eMails.  

Jemanden anzurufen ist wesentlich aufdringlicher, als ihm eine eMail zu schreiben. Das Telefon bricht nämlich rücksichtslos in die Privatsphäre eines Menschen ein. Bei der eMail (dito Brief usw.) bestimmt der Menschen selber, ob wissen will, was ihm jemand geschrieben hat –
und er kann entscheiden, ob er es sofort lesen will oder später.   

Zudem ist die eMail ein Monolog. Der Adressat kann entscheiden, ob und wann er antworten möchte. Schreiben ist bequemer, erlaubt Distanz. Schreiben ist unverbindlicher. Schreiben erfordert nicht unbedingt eine Reaktion, zumindest keine sofortige, spontane. Schreiben vermeidet direkten Widerspruch. Monolog ist weniger anstrengend als Dialog.  

Aus all diesen Gründen ist die eMail die dezentere, schonendere Form eines Kommunikationsangebots.  

Vor einigen Wochen fand ich Dieter wieder – im Netz. Und als ich Informationen über eine Klassenfahrt im Jahre 1964 brauchte, schrieb ich Ulrich eine eMail. Ich hätte beide doch anrufen können. Nein, das tut man nicht (mehr). Mit Dieter habe ich dann tatsächlich einmal telefoniert, aber nicht, ohne ihn vorher zu fragen, ob das in Ordnung ist. Schon komisch, jemanden um seine Telefonnummer zu bitten, nachdem man sich bereits intensiv online miteinander ausgetauscht hat.  

Es steht zu vermuten, das wir das Telefonieren ebenso verlernen werden wie das handschriftliche Briefeschreiben – die gelbe Post enthält zunehmend nur noch Rechnungen, Werbung oder Amtsschreiben (die mit der „de-mail“ auch noch weiter abnehmen werden).  

Telefonieren, das ist offenbar nur noch etwas für alte Leute, die mit den modernen Kommunikationsformen nicht mehr zurechtkommen. „Ruf doch mal an!“ – das war einmal!

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5 Antworten zu Ruf doch mal an! – Ade Telefon?

  1. Reinhard Wiese sagt:

    Andererseits sind unsere Kinder kaum von der Schule zuhause, als sie bei den soeben gesehenen KlassenkameradInnen anrufen und sich verabreden wollen.

    Und nicht zu vergessen die Damen der Gesellschaft, die ihren Freundinnen das „Neueste“ mitteilen müssen – in Echtzeit, versteht sich (also: Ereignisse, die z.B. 1 Stunde gedauert haben, werden auch über eben diesen Zeitraum am Telefon zerkaut).

    Es muß sicher hier auch nicht erwähnt werden, daß im Geschäftsleben das Telefon nach wie vor eine unersetzliche Rolle spielt.

  2. Peer Wichary sagt:

    @ Hr. Wiese:
    Ist doch wunderbar: Die Bedeutung der besten Freundin unserer Partnerin kann ohnehin nicht stark genug betont werden, denn so haben wir Herren der Schöpfung zumindest unsere Ruhe und brauchen uns nicht unnötigerweise „dicht-texten“ zu lassen – es ist also von strategisch unschätzbarem Vorteil, die Damenwelt im Glauben zu belassen, wir Männer könnten nicht zuhören!

    Doch Spaß beiseite:
    Losgelöst von Anlaß sowie mitzuteilendem Inhalt ist die Wahl des Kommunikations-mediums meines Erachtens ein Ausdruck der Wertschätzung meines Gegenübers und fällt somit in den Bereich des Mitteilenden.

    Leider sind die elektronischen Kommunikationsmedien bekannt für sich einschleichende Unschärfen in Form von Mißdeutungen, etwa weil weitere Informationen wie Betonung, Mimik und Gestik fehlen.

    Alternativ bleibt immer noch das persönliche, zumindest meistens mißverständnis-freie Gespräch, welches sich etwa für die Klärung von Dissonanzen, die z.B. durch die Verwendung elektronischer Kommunikationsmittel entstanden sein könnten, anbietet – oder haben Sie schon mal versucht, einen Streit via SMS zu lösen?

  3. Karl-Heinz Heidtmann sagt:

    @ Reinhard
    Danke für den Hinweis! Habe das Wort „privat“ vergessen und jetzt nachträglich eingefügt!

  4. Wilfried Wöhlke sagt:

    Wir leben in einer Zeit wo Kommunikation von jedem Ort der Erde möglich ist, wir entscheiden welches Medium wir einsetzen: Telefon, Handy, Fax, Email, SMS, Skype, …! Ich begrüße diese neuen Technologien und nutze sie gerne.

    Ich kenne noch die Zeit, wo das Telefon verdammt wurde. Es wurden immer weniger Briefe geschrieben. Jetzt sollen die neuen Medien (Handy, Email, Skype,..) verdammt werden?

    Nein, so ist es zu einfach! Selbstverständlich haben jüngere Menschen eine höhere Affinität zu den neuen preiswerten Kommunikationsmedien. Schon damals haben die älteren Menschen weniger telefoniert und mehr Briefe geschrieben.

    Auch die Behauptung, die neuen Medien seien bekannt für eine einschleichende Unschärfe, kann ich nicht verstehen. Mit Skype kann ich sowohl Mimik als auch Betonung erfahren. Ich glaube fest, dass ein Streit auch über Skype zu lösen ist.
    In der Raumfahrt und vielen anderen Konzerne werden regelmäßig Verhandlungen
    über Telekonferenzen geführt.

    Wir sollten uns alle fragen, warum wir diese Diskussion führen. Sind wir zu alt für
    diese neue Medien? Haben wir Angst vor diesen neuen Medien?

    Die neuen Medien sind ein Segen für die Menschheit, sie verleihen uns mehr Freiheit und verlangen von uns mehr Kompetenz und mehr Verantwortung.

    Ich mache mir persönlich Sorgen, ob wir Eltern, Lehrer, Politiker, …. dieses leisten können und wollen!

  5. Heike Behnke sagt:

    @ Reinhard Wiese:

    1. Schön zu hören, dass es anderen Leuten mit ihren Kindern so geht, wie ich es selber auch erlebt habe. Ich habe eine Tochter, s. Pkt. 2.
    2. Unterschätzen Sie uns Damen nicht! 1stündige Erlebnisse können locker Stoff für 2stündige Telefonate ergeben – zzgl. Wiederholung und weitere Interpretationsvarianten beim nächsten Gespräch. 🙂 – und das dann x der Anzahl der wichtigen Personen, die unbedingt informiert werden müssen.

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