In memoriam – Gerhard Orschel

Fast alle Kinder, die in den 60er oder 70er Jahren Französisch in der Schule lernten, haben schon einmal „georschelt“.

Was verbirgt sich hinter diesem merkwürdigen Wort? Gemeint ist das Nachschlagen der Konjugation französischer Verben in einer tabellarischen Übersicht von 100 Verben. Autor des Buches war Gerhard Orschel.

Es wird Zeit, über diesen begnadeten Philologen und außergewöhnlichen Pädagogen hier im Internet zu berichten, da eine Suchanfrage bei google nur Hinweise auf seine Veröffentlichungen ergab, nichts jedoch über seine Person.

Viele sind berufen, aber wenige auserwählt.“

Ende der 60er Jahre war der 1921 geborene Gerhard Orschel mein Englisch- und Französischlehrer. In beiden Sprachen sehr versiert, stand er als Lehrer vor allem jedoch für Gerechtigkeit und – heute würde man sagen – „Fairness“ an der Realschule in Ottersberg.

Orschel war einerseits noch den tradierten Methoden des Fremdsprachenerwerbs verhaftet, Stichwort „chorales Sprechen“, andererseits Pionier beim Aufbau eines Sprachlabors.

Ich möchte ihm heute – „better late than never“ – für seinen stets engagierten Unterricht danken, besonders aber dafür, dass er uns schon als Kinder bzw. Jugendliche ernst genommen hat. Er war menschlich immer korrekt, was man von den anderen Kollegen an der Ottersberger Realschule seinerzeit leider nicht durchgängig behaupten konnte. Vermutlich war er der einzige Lehrer in diesem Kollegium, dem man Wissen und Praxis um den Begriff  der „Ethik“ unterstellen konnte. Er war aktiver Christ, doch das hat er nur ein einziges Mal offen durchblicken lassen.

Gerhard Orschel hat auf seine Weise bei mir, bei uns, bei vielen seiner Schüler Spuren hinterlassen, ohne uns zu indoktrinieren. Ich erinnere mich an: „… footprints in the sands (Pause!) of time“ (Wadsworth Longfellow) und an „Do you remember, Miranda?“ (Hilaire Belloc  – welch anspruchsvolles Gedicht!). Denn wir mussten viele französische und englische Gedichte auswendig lernen und choral oder einzeln aufsagen. Zugegeben, das war nicht besonders beliebt. Wenn ich jedoch bedenke, wie viele Gedichte oder doch zumindest Teile davon ich heute noch beherrsche.

Schon bewundernswert, sein Anspruch, Schüler für fremde Sprachen zu begeistern und sie trotz manch fauler Widerstände diese Sprachen lernen zu lassen. Gerhard Orschel hat einiges zu dem beigetragen, was ich heute kann und wie ich heute denke.

Er hatte sicher auch entscheidenden Anteil daran, dass ich mich später im Rahmen meines Studiums mit Sprachen beschäftigt habe. Was kann ein Lehrer mehr erreichen?

Zu alledem war der kriegsverletzte, einbeinige Orschel auch ausgesprochen ordnungsliebend. Unsere Hausaufgaben hatten wir auf besonderem Papier mit definierten Seitenabständen zu machen. Ich entsinne mich, an einen – natürlich mit rotem Kuli geschriebenen Kommentar: „Eine schöne Schrift ist Schicksal, eine saubere kann man von jedem Menschen erwarten!“ Das hat mich mit meiner „Sauklaue“ ein Leben lang verfolgt.

Für all das und noch viel mehr gebührt ihm mein – zugegeben viel zu später – Dank!
Gerhard Oschel ist offenbar bereits im Jahr 1991 gestorben.

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5 Antworten zu In memoriam – Gerhard Orschel

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  2. Gisela Frese sagt:

    Ein sehr schöner Text. Ich habe ihn genauso erlebt, wie es hier beschrieben wurde und bin selbst Englisch Lehrerin geworden. Die Liebe zur englischen Sprache entstand in seinem Unterricht.

  3. Herzlichen Dank für Ihren (Deinen?) Kommentar! Ich habe die Gelgenheit genutzt, gleich auch einige Tippfehler in meinem Beitrag zu korrigieren.

    Ehre, wem Ehre gebührt! Ganz anders bin ich mit Lehrer Kurt Mann hier umgegangen – warum Orschel da nicht eingeschritten ist, bleibt mir allerdings bis heute ein großes Rätsel.

    Gibt es Lebensdaten zu Gerhard Orschel?

  4. Rolf Albinger sagt:

    Er war auch Lehrer an der Rudolf-Steiner-Schule Ottersberg. Ich habe
    Französisch-Unterricht genossen. Auch bei mir ist die Liebe zu dieser Sprache geblieben.
    Letztens wollte ich in den Verbentabellen was nachschlagen – das Buch ist WEG!

  5. Guten Abend, Herr Albinger,

    in welchen Jahren hatten Sie Gerhard Orschel als Lehrer?
    Und wissen Sie etwas mehr über sein Leben?

    Die Konjugationstabellen findet man noch gebraucht, zB hier:
    http://www.amazon.de/Konjugationstabellen-wichtigsten-franz%C3%B6sischen-Verben-Lernmaterialien/dp/3140453108

    MfG

    K. Heidtmann

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