Gefangen – in Hoheneck

Durch einen meiner besten Freunde bin ich vor vielen Jahren in den Genuss gekommen, die Zeitschrift „Chrismon Plus“ lesen zu können. Eine wahrlich sehr gute Zeitschrift, die ich immer komplett durchlese.

In der neusten Ausgabe des Monat März 2012 lese ich einen Artikel unter dem Titel „Der dunkle Ort“. Drei Frauen berichten über ihren Aufenthalt in dem schlimmsten Zuchthaus der DDR, dem Frauengefängnis Hoheneck (auch als Buch erhältlich: „Der dunkle Ort“ von Dirk von Nayhauß und Maggie Riepl – 25 Schicksale aus dem DDR Frauengefängnis Hoheneck). Was ich jetzt in der „Chrismon Plus“ lese erschüttert mich zutiefst (wohl wissend, dass es viele solcher Orte auf der ganzen Welt gibt). Ich frage mich immer wieder, wie können Menschen mit solchen Erlebnissen fertig werden?

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an ein Buch, das ich vor vielen Jahren gelesen habe (Erika Riemann, „die Schleife an Stalins Bart“). Sommer 1945: Ein vierzehnjähriges Mädchen malt Stalin mit einem Lippenstift eine rote Schleife in den Bart, weil er ihrer Meinung noch so traurig aussieht. Sie wird im wahrsten Sinne des Wortes verpfiffen und kommt nach einem entsprechenden Prozess für acht Jahre in otdeutsche Zuchthäuser (so auch in das ehemalige KZ Sachsenhausen) und später in das eben schon erwähnte Frauengefängnis Hoheneck.

Es ist kaum zu ertragen zu lesen, was das junge Mädchen bis zur jungen Frau ertragen muss an Misshandlungen, Demütigungen, Prügel, Schikane und was weiß ich noch alles (es wurde kaum etwas ausgelassen, was kranke Hirne sich als Quälerei an Lebewesen ausdenken können – leider weist unsere Geschichte diesbezüglich reichlich Material auf).

Nach der Entlassung geht sie zu ihrer Mutter in den Westen. Natürlich ist auch die Zeit danach nicht als normal zu bezeichnen und ein einziges Traumata mit vielen Depressionen. Nach der Wende und der Öffnung der Grenze besucht sie irgendwann die ehemaligen Orte und sucht ehemalige Peiniger auf.

Die Geschichte ist noch zu steigern,denn diese Frauen besitzen ihren Taten gegenüber absolut kein Schamgefühl, keine Entschuldigungen, keine Worte, sondern da noch Anschuldigungen und Beschimpfungen. Erst viel später kann sie sich entschließen, die Zeit schriftlich niederzulegen, um so die Schrecken der Zeit eventuell zu verarbeiten.

Ich frage mich immer wieder, wie die Täter damit fertig werden? Hier wurde sogar deutlich, dass sie nichts dazu gelernt haben, sondern in dem Trott weiterzumachen scheinen.

Ich habe in den 80er Jahren Hilfstransporte nach Polen mit organisiert und dann selber auch je einen LKW gefahren (10 Transporte – der größte mit 10 LKW’s). Was wir an den Grenzen zur damaligen DDR und nach Polen (Helmstedt und Frankfurt/oder oder Forst) seitens der deutschen DDR-Grenzer ertragen mussten war himmelschreiend. Auch während der langen Fahrt durch die DDR war es einfach nur beklemmend und von der Sorge begleitet, kurzfristig weiteren willkürlichen Schikanen ausgeliefert zu sein.

Ich fühlte mich in Polen freier und wohler als bei der Durchfahrt durch die DDR. Nach der Wende habe ich mich immer wieder gefragt, wie es Menschen gelingt, einfach den Schalter umzudrehen, und schon ist man ein Anderer? Alles was ich getan habe (natürlich im Auftrag – ich will mit diesen Zeilen niemand angreifen und freue mich nach wie vor über die Öffnung der Grenze, schließlich habe ich den Mauerbau mit allem drum und dran erlebt) ist mit einem Schlag weg.

Die Geschichten der Frauen und die Erlebnisse vieler Anderer die ich in Büchern oder Filmen gelesen und gesehen habe (natürlich auch gerade aus der NS-Zeit und den Judenverfolgungen und KZ-Aufenthalten), hinterlassen stets ein großes Loch – ein großes Fragezeichen. Leider müssen wir alle täglich erleben, dass es eine nie enden wollende Geschichte ist; denn derartige Erlebnisse geschehen auch heute und zukünftig irgendwo in der Welt und auch vor unserer Haustür.

Hans-Werner Kleindiek

Dieser Beitrag wurde unter Gastbeitrag abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.