Altes bewahren – das Neue erfahren

Ein ausgewogenes Leben steht immer in dem Spannungsfeld, Altes zu bewahren und gleichzeitig Neues zuzulassen.

Wer alles bewahrt, wird leicht zum „Messie“: Wer alles wegwirft, geschichtlos. Als schlimm wird empfunden, wenn ein ganzes Volk geschichtslos ist oder ein Mensch seine Erinnerung verloren hat.

Denn der Mensch kommt aus der Vergangenheit. Ein Großteil seines genetisches Erbes stammt aus der Vergangenheit – und wirkt bis in den heutigen Tag. Aus der Vergangenheit können Impulse für heutiges Handeln erwachsen.

Gegenwart wird immer schneller zur Vergangenheit. Wir erleben eine „Gegenwartsschrumpfung“, in der wir unsere Gegenwart immer schneller zugunsten der Zukunft verabschieden müssen.

Es gibt keine wissenschaftliche Definition, wie lange Gegenwart dauert. Doch es gilt als gesichert, dass der Eindruck des Moments etwa 1,5 bis 3 Sekunden dauert. Solange benötigt das Gehirn, um Informationen wahrzunehmen, kognitiv zu verarbeiten, sich dieses Vorgangs bewusst zu werden und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.

Faktisch gibt es sie also gar nicht, die Gegenwart, ist sie doch nur die Trennlinie zwischen Vergangenheit und Zukunft. Wir haben nur diesen Augenblick. Und nur da findet das Leben und das Glück statt. Wir sind immer knapp davor zu leben.

Psychologisch empfinden wir die Gegenwart als offen, die Vergangenheit als abgeschlossen und die Zukunft als ungewisses Getöse.

Seit es den Menschen gibt, beschäftigt ihn, was die Zukunft wohl bringen wird. Mit vielen Mitteln hat er versucht, der Zukunft ins Fenster zu schauen, teils wissenschaftlich, teils unseriös. Das Repertoire reicht von der Glaskugel, dem Kaffeesatz und den Handlinien bis hin zur ernsthaft betriebenen Astrologie und der Zukunftsforschung. Er hat die Götter befragt, die Propheten, die Hellseher, die Wahrsager und das Orakel. Er ist die Zukunft mit wissenschaftlichen Methoden angegangen, um Macht über sie zu gewinnen. Alles vergebens.

Was die Zukunft für uns bereit hält, wissen wir noch nicht. Die Zukunft wird aber mit Sicherheit anders sein als die Vergangenheit. Wer glaubt, dass die Zukunft die Fortsetzung der Vergangenheit ist, irrt. Jede Gegenwart produziert eine jeweils neue Zukunft, die unbekannt ist, aber individuell beeinflusst werden kann.

„Die beste Art, die Zukunft vorherzusagen, ist, sie zu gestalten.“ Wer Zukunft will, muss sie selber erschaffen. Was für die Zukunft zählt, ist Neues. „Nur der, der sich die Gegenwart auch als eine andere denken kann als die existierende, verfügt über Zukunft.“ (Th. W. Adorno)

Menschen sind „Zeitbinder“. Wir können unser Wissen aus der Vergangenheit ansammeln und es an die Zukunft weitergeben. Das sollten wir nutzen. Der Fortschritt erweist sich dabei oftmals als ein Nullsummenspiel: Man gewinnt an einer Stelle, um an anderer zu verlieren.

Und langfristig sind wir alle tot.

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