Sofa auf der Autobahn

Ja, was ist denn da los? Man glaubt es nicht! Gibt’s denn so was? Am 2. Mai 2012, um 14.45 Uhr warnt der bundesweit ausgestrahlte Deutschlandfunk die Autofahrer vor einem auf der Autobahn 61 bei Mönchengladbach herumstehenden Sofa, das den Verkehr behindert.

Am 22. September 2011, etwas später am Tag, dieses mal um 19.05 Uhr nämlich, bat der gleiche Sprecher des gleichen Senders die zuhörenden Autofahrer zur Vor- oder zur Rücksicht auf eine Matratze, die, wiederum im Westen der Republik, die rechte Fahrbahn blockiere.

Der Bayerische Rundfunk, der den Straßenverkehr nicht minder aufmerksam beobachtet und fürsorglich einfühlsam kommentiert, warnt einen Monat später vor einem weiteren Sofa, das in diesem Fall auf der A 8 zwischen Weyarn und Holzkirchen gesichtet wurde und – das kann doch kein Zufall gewesen sein – zwei Wochen später erneut unter den Gefahrenhinweisen auftaucht, sich dieses mal jedoch auf der Gegenfahrbahn der Autobahn, zwischen den Anschlussstellen Holzkirchen und Weyarn, verbotenerweise aufhält.

Naht die sommerliche Urlaubszeit, sind es weniger häufig Sofas, dafür öfters Sonnenliegen, die sich auf den Schnellwegen Richtung Süden herumtreiben und daran erinnern, dass es attraktive Alternativen zur stressigen Umherraserei gibt. Kein Mensch zwingt die Hörer und Hörerinnen, die fürsorglichen Hinweise des Verkehrsfunks als Warnhinweise, wie sie bezeichnet werden, zu interpretieren. Was spricht eigentlich dagegen, in ihnen eine Einladung, eine Aufforderung zu sehen, es bei ihrer Ortsveränderung etwas langsamer anzugehen, mal innezuhalten, zu trödeln.

Vielleicht handelt es ja bei der ungewöhnlichen Möblierung an ungewöhnlichem Ort um die demonstrative Offerte einer bisher im Verborgenen wirkenden Speerspitze der Enthetzung, die mit originellen Aktionen auf einen Zustand in dieser Gesellschaft aufmerksam macht, der ihren Zeitgenossen den verdienten Zeitwohlstand nicht nur vorenthält, sondern alles tut, um ihn weiter zu reduzieren.

Könnte es sein, dass da Zeitrebellen mit Aufsehen erheischenden subversiven Zeitpraktiken unterwegs sind? Piraten vielleicht – die ihr Aktionsfeld über das Meer und das Netz hinaus auf die Autobahn erweitert haben; handelt es sich eventuell um eine Enthetzungsavantgarde, die sich anschickt, mit originellen Aktionen dem Wahnsinn der Multitaskingseuche die Stirn versucht zu bieten? Beobachten wir diese Angelegenheit weiterhin mit Interesse und Aufmerksamkeit, am besten gemeinsam mit den Mitarbeitern des Verkehrsfunks.

Was aber kann man, sympathisiert man mit den Entschleunigungsrebellen, selber tun, wenn man nicht gerade ein überflüssiges Sofa zur Hand hat? Ein paar völlig unverbindliche Vorschläge:

  • Ärgern Sie sich mal wieder, dass Sie den Zug zu Ihrem Termin verpasst, oder nur im allerletzten Moment mit heraushängender Zunge erreicht haben, dann nehmen Sie in Zukunft doch einfach den vorhergehenden!
  • Und folgen Sie, auch dann, wenn Sie keinen verbindlichen Termin haben, dem Ratschlag des Münchner Westentaschenphilosophen Karl Valentin: Schauen Sie am Morgen auf die Uhr und merken Sie sich die Zeit für den ganzen Tag. Dann haben Sie jene Zeit, die Sie sich so häufig wünschen, und darüber hinaus noch ein wenig mehr, um über die vielleicht wichtigste Frage im Leben nachzudenken: Was tue ich, wenn ich nichts tue?
  • Und noch etwas: Falls es Ihnen entfallen sein sollte, hier der Trick, wie man das mit der Langsamkeit auch abseits der Autobahn hinbekommt: Das Langsame – und dieser Satz steht fest – ist stets das Schnelle, das man lässt!

Prof. Dr. Karlheinz A. Geißler

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