Es war wohl um das Jahr 1969, dass wir einander kennenlernten. Klaus-Dieter Degode – für uns damals nur kurz „KD“ – war Nachbar und Freund meiner damaligen Freundin Conny im Marßeler Feld.
KD, fünf Jahre älter als ich, bewohnte ein Endreihenhaus – ein Traum besonders für heranwachsende Jugendliche: Ständig „sturmfreie Bude“! Sein Geld verdiente der gelernte Elektriker seinerzeit als „Operator“ im Rechenzentrum des Klöckner Stahlwerks Bremen – damals übrigens noch u. a. mit Hollerith-Lochkarten. Einmal hat er mich dort reingeschmuggelt, das hat mich schwer beeindruckt – und fortan wollte ich zum Entsetzen meiner Eltern auch „Operator“ werden.
KD war einerseits der Typ, mit dem man nicht nur „Pferde stehlen“ konnte. Er war zudem immer hilfsbereit und ein guter Zuhörer – wir Pennäler kamen ja aus einer anderen Lebenswelt, das interessierte ihn. Wir hörten damals viel Musik, meistens Jazz – ich erinnere mich an viele Abende in der legendären „Jazz-Mühle im Hafen“ von Peter Bruns in OHZ. Natürlich hörten wir auch gerne Rock (Woodstock!), andererseits aber auch die Balladen von Hannes Wader, die Stimmungen war damals auch schon unterschiedlich.
Abendliche Ausflüge führten uns damals in die „Galerie“ gegenüber der Markusallee, eines der ersten Lokale (abgesehen von Piet’s Pinte) in Bremen mit französischer Zwiebelsuppe. Ab und zu gönnten wir uns an Wochenenden auch ein leckeres Essen mit einer Flasche Beaujolais im damaligen Restaurant „Schildkröte“ in Borgfeld.
Überhaupt waren wir – wie alle jungen leute – immer viel unterwegs: Spazieren im Garlstedter Wald, baden im Eggestedter Baggersee, Kinobesuche, Besuche der Düsseldorfer Altstadt, wo Klaus‘ Eltern lebten, wir waren gemeinsam auf Terschelling und zuletzt auf Elba. KD liebte die Gesellschaft von Freunden, waren vielen Freund. Die Erinnerungen vervollständigen sich nach und nach, Bilder werden wieder präsent.
Es war die Zeit der RAF; wir hatten alle ziemlich lange Haare – und wurden wohl schon deshalb überproportional häufigt von der Polizei angehalten. KD fuhr damals einen schnellen BMW, das war ebenfalls verdächtig. Die Begegnungen mit der Staatsgewalt waren auch aus anderen Gründen oft prekär: KD konnte Uniformierte nicht besonders leiden, hatte als groß gewachsener, kräftiger Kerl keine Angst vor Autoritäten -und provozierte auch schon mal gerne. Das war nicht ganz ungefährlich damals, die jungen Beamten waren nervös und bis an die Zähne bewaffnet – denn die RAF fuhr auch gerne BMW.
Überhaupt hat er das Schicksal oft herausgefordert – er liebte scheinbar das Risiko, besonders als Autofahrer. Da es damals nur zwei mobile Blitzer in Bremen gab, deren Kennzeichen wir natürlich kannten, waren Fahrten vom Marßeler Feld bis zum Hauptbahnhof Bremen in etwa 10 Minuten möglich – die wilden Verfolgungsjagden im Kino („French Connection“) waren nichts dagegen. Nicht immer sind seine waghalsigen Abenteuer gut gegangen, so manches Mal ist er dabei gerade noch „dem Teufel von der Schippe gesprungen“ – ein Lebensthema, das im Nachhinein in Form von Anekdoten zwar Bände füllen könnte, aber damals schon grenzwertig war.
Danach folgte bei KD – wie bei fast allen jungen Männern – mit gut 30 Jahren der Eintritt in eine ruhigere Lebensphase. KD war handwerklich überaus begabt – ich habe auch in dieser Hinsicht viel von ihm lernen können. Es gab überhaupt wenig, was er nicht konnte – er war bei allem immer ein Stückchen besser oder schneller als wir: Beim Arbeiten, Autofahren, Segeln – er hat es uns allen immer gezeigt! Das nagte zugegeben manchmal am eigenen Selbstbewusstsein; aber wir hatten nie eine wirkliche Chance – das hat er dann grinsend genossen.
Einen Streit mit ihm konnte niemand gewinnen, KD konnte unerbittlich sein. Doch dass er die mühsam gemauerten Gefache alle wieder herausgerissen hat, das hat Jörg ihm bis heute nicht verziehen. Irgendwie will mir heute scheinen, dass wir so etwas wie Kinderersatz für ihn, der dann doch noch spät selber Vater geworden ist, waren.
Nachdem KD einige Jahre mit seiner Freundin S. – mit ihr kam der modische Schick in sein Leben – in Frankenburg (Lilienthal), Hinter dem Berge, zur Miete in einem Bauernhaus gewohnt hatte, kam er wohl auf den Geschmack und erwarb in den 1980er Jahren ein Bauernhaus in Worpheim. Dort hat er dann wohl endgültig sein Hobby zum Beruf gemacht und war fortan als Selbstständiger vor allem mit der Sanierung alter niedersächsischer Bauernhäuser beschäftigt.
Wir haben damals viel miteinander erlebt, es waren turbulente Zeiten! Für mich war KD ein wichtiger Mensch im Prozess der Abnabelung vom Elternhaus. Irgendwann und irgendwie haben wir uns dann gegen Ende der 1970er Jahre aus den Augen verloren – ich weiß nicht mehr so genau warum. Aber so ist das oft mit Freunden: Man geht gemeinsam ein Stück auf dem Lebensweg, dann gabeln sich die Wege wieder. Doch sind es solche Menschen, die uns im Leben begegnen, und die uns auch noch nach Jahrzehnten in Erinnerung bleiben: Klaus war mir viele Jahre ein prägender Freund.
Geboren wurde Klaus-Dieter Degode am 28. November 1946. Eher zufällig lese ich heute in der Zeitung die Traueranzeige, er sei am 1. Mai einem schweren Unfall erlegen. Er war uns eben zeitlebens immer ein Stückchen voraus, dafür hat er stets gesorgt. „Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ew’ger Bund zu flechten.“ (Schiller)
Karl-Heinz, ich hätte es kaum besser ausdrücken können!
Ich war damals der Junge von nebenan in Frankenburg und war zusammen mit Euch auf Elba. KD war wirklich aussergewöhnlich und wird auch mir immer in Erinnerung bleiben. Nachdem ich Anfang der 80er nach Frankreich zog, hatte auch ich so langsam den Kontakt mit ihm verloren. Hab ihn wohl in den Neunzigern zum letzten Mal getroffen.
Zu meinem tiefen Bedauern!
JB
Lieber Jürgen,
hab Dank für Deine Zeilen! Man ist ja nie sicher, ob man das richtig formuliert hat und wie das ankommt.
So ein Nachruf hat ja immer auch etwas – oder viel? oder vor allem? – mit einem selber zu tun!
Für mich ist das auch ein Anstoß für eine Gedanken- und Gefühlsreise in die eigene Vergangenheit.
Aus der zeitlichen Distanz wird oft einiges klarer.
Ich werde nachher mal die Fotos von Elba suchen, um Dich da zu finden. Da waren je eine Menge Leute dabei damals.
Leider gab es da und danach ja Streit – damit war mE auch das Ende der Freundschaft eingeläutet.
LG Karl