Auch wenn besonders ältere Mitmenschen das Gegenteil beteuern: Noch nie war die Zahl der Moralpostel so groß wie heute – vielleicht, weil unsere Gemeinschaft sie so dringend braucht? O tempora o mores, klagte einst schon Cicero.
Moral ist dabei nicht gleich Ethik: Ethik ist der übergeordnete Begriff und gibt der Moral die Normen vor. Dabei entsteht der gesittete Umgang von Menschen miteinander weniger durch Einhaltung von Gesetzen, sondern durch gesellschaftlichen Druck – die ungeschriebenen Gesetzes dessen, was „sich gehört“ und was nicht, sind unzählig.
Im Laufe der Zivilisation kommt es zu einer Transformation von Außenzwängen (Fremdkontrolle) in Innenzwänge (Selbstkontrolle): Wenn das zoon politikon selber will, was es tut, hat es die polis leichter.
Damit im Zusammenhang steht auch die Frage, ob es die Aufgabe des Staates sei, tugendhafte Bürger hervorzubringen oder ob es den gesitteten Bürger bereits vor jeder Staatsordnung gab.
Ist der Mensch also von Natur aus „gut“ oder „böse“? Die Frage ist mit ein wenig logos leicht zu beantworten: Wenn er nämlich „böse“ wäre, nützten auch Gesetze oder Erziehung wenig. Andererseits braucht es Regeln und Gesetze, um die Menschen davor zu bewahren, übereinander herzufallen. Denn auch heute gilt „Nullum crimen sine lege“ – eine Handlung ist solange keine Straftat, wie sie nicht durch ein Gesetz als solche definiert ist.
Das Wort Zivilisation leitet sich vom französischen civilisation ab bzw. vom lateinischen Begriff civis – der Bürger der in der civitas Rom lebt, mithin eine Rückführung auf entscheidenden Merkmale von Zivilisationen: dem Bau von Städten.
Wie alle sozialen Prozesse ist auch der Zivilisierungsprozess zwar gerichtet, aber nicht geplant: Die Veränderung menschlichen Verhaltens ist dabei Teil des Zivilisationsprozesses: Schlug man sich einst straffrei die Köpfe ein, so ist dies in zivilisierten Gesellschaften nur Wenigen vorbehalten.