Die erste Woche des neuen Schuljahres ist um, die neuen Stundenpläne stehen fest: Bei unserer 15-jährigen Tochter einmal zehn, einmal Mal acht und drei Mal sechs Stunden – Ganztagsschule? Nein, 10. Klasse Gym der KGS Leeste.
Durch das „Turbo-Abitur“ kommt es inzwischen nicht nur in Ganztagsschulen zu Stundenplänen mit acht und zehn Unterrichtsstunden pro Tag – auch für Kinder unter 16 Jahren.
Schon Siebtklässler haben oft 34 Schulstunden pro Woche und sitzen bis spätabends am Schreibtisch. Die Nachfrage, ob ein Schultag von 8:00 bis 17:00 Uhr nicht gegen geltendes Recht verstößt, ist negativ. Kinderarbeit ist in diesem Lebensalter zwar noch reglementiert, solch langen Schultage, nach denen – anders als in Ganztagsschulen – noch Hausaufgaben gemacht werden müssen, hingegen nicht.
Zahlreiche Schüler klagen über eine Lernbelastung von 40 bis 50 Stunden in der Woche – mehr als jeder Tarifvertrag in Deutschland zulässt und mehr, als mancher Erwachsene schultern muss.
Bereits an den Grundschulen ist der Leistungsdruck enorm gestiegen, da ja am Ende der dritten Klasse bereits über die künftige Schulstufe nachgedacht werden muss. Die Empfehlungen der EU-Kommission sehen zukünftig gar die Einschulung mit 5 Jahren, außerdem eine zweijährige obligatorische Vorschule für alle Drei- bis Vierjährigen. Dort soll schon mit zwei Fremdsprachen begonnen werden. In der Stadt Achim ist an der Hauswand eines Nachhilfe-„Instituts“ folgendes Schild zu lesen: “Englisch für Kinder von drei Monaten bis 14 Jahren”. Auch in Bremen und anderen Städten gibt es solche Angebote. „Though this be madness, yet there’s method in’t!“
Heillos überfordert scheinen angesichts der verschärften Bedingungen vor allem jene Schüler, deren Eltern voll berufstätig sind – und denen die Zeit fehlt, ihren Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen. Manche Schüler nehmen deshalb drei, vier, fünf Mal die Woche Nachhilfe, um überhaupt noch mitzukommen. Die Zahl der Fünft- und Sechstklässler, die in Nachhilfe-Instituten pauken, hat sich verdreifacht. Sogar an den Wochenenden dreht sich alles um Schule. Zeit für Treffen mit Freunden? Fehlanzeige!
Wir können es uns angeblich nicht leisten, dass Abiturienten und Uni-Absolventen im Durchschnitt älter sind als in anderen Staaten. Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch eine Verkürzung der Schuljahre ist offenbar ein weiterer Beitrag zur Sicherung des Rentensystems.
Aber was tun wir unseren Kindern damit an? Keinesfalls wird die Schule vom Kind her gedacht. Auf der Strecke bleibt eine unbeschwerte Kindheit. Es fehlt die Zeit für all das, was zur gesunden außerschulischen Entwicklung junger Menschen beiträgt. Gibt es nur noch das „Reich der Notwendigkeit“?
Das sagt übrigens die UNICEF zu diesem Thema.
Kindheit? Grenzenlose freie Zeit zum Spielen und Träumen? Das war einmal! Leistung ist angesagt. Nicht fürs Leben lernen wir, sondern fürs Berufsleben. Armes Deutschland!