Neulich bei Hundespaziergang im Wald bei Sörhausen begegneten mir zwei ältere Herren, die auf dem Fahrrad unterwegs waren. Der Bequemlichkeit halber auf Damenrädern, da ist der Ein- und Abstieg leichter. Sie ruhten sich gerade ein wenig auf einer Bank aus.
Wir kamen ins Gespräch. Woher, wohin des Weges? Dass die beiden das Rentenalter schon erreicht hatten, war mir klar, wer sonst radelt werktags gegen Mittag durch den Wald? Ich wurde aufgefordert zu schätzen. Da ich gelernt habe, dass es geschätzt wird, wenn man unabhängig von der Geschlechtszugehörigkeit ab einem bestimmten Lebensalter bei der Antwort etwas tiefstapelt, vermutete ich laut Jahrgang 1939 oder 1938.
Kopfschütteln. Der Eine sei Jahrgang 1928, der Andere Jahrgang 1925. Da war ich denn doch etwas sprachlos. Zu glatt im Gesicht und zu fit wirkten beide auf mich. Über 80 Lebensjahre? Niemals! Unaufgefordert und stolz zückten daraufhin beide ihre Personalausweise. Tatsächlich! Unglaublich!
Wie man das gemacht habe, fragte ich. Irgendwelche Erfolgsrezepte? Morgens ein Köm und abends einer hinterher, dazwischen eine Scheibe Schwarzbrot? Nein, weit gefehlt: Sie gehörten zur Kriegsgeneration, sagten sie – und die sei zäh, hart und flink (Sie wissen schon).
Mir wurde deutlich, dass mir diese Erfahrung bisher gefehlt hat. Und das glücklicher Weise, wie ich bisher meinte. Angesichts solcher Erfolgsberichte meldeten sich bei mir jedoch spontan Zweifel an der eigenen Lebenserwartung.
„Der Krieg ist der Vater aller Dinge“, meinte schon Heraklit. Hoffentlich entdecken die Amerikaner dies nicht auch das noch als neue allheilende Lebenslüge: „Alt werden durch Krieg!“
Das Wort selbst ist schon abstoßend, weshalb es auch nicht gerne in den Mund genommen wird. Ähnlich dem der Sünde. Man möchte nichts damit zu tun haben und doch tut man es – meist ungewollt.
Ist es menschlich unabänderlich, dass wir es tun, oder ist es eine Frage des Wollens?
Ist Krieg in erster Linie ein Mittel der Politik oder ein unüberwindbares Relikt archaischer Triebe?
Fest steht, dass im Krieg Kräfte mobilisiert werden, die sonst brach liegen – Kampfgeist, Phantasie, Heldenmut. Brauchen wir das vielleicht zum richtigen Menschsein? Ist Leben im Frieden vielleicht nur ein halbes, ein halberfülltes Leben?
Wird der Mann erst im Krieg zum Mann? Lebt die Liebe davon?
Fragen, die an die Grenze gehen – an die Grenze unserer Moralvorstellungen.
Vielleicht sind wir doch nicht so gut wie wir zu sein glauben.
In unserer Gesellschaft gibt es Grenzbereiche der Moral, über die man nicht gerne redet. Dazu gehört neben dem Krieg die häusliche Gewalt, Kindesmissbrauch und das Strafrecht. All dies liegt auf einer Linie, hat mit Gewalt, Aggressivität und Lust zu tun.
Sie unterliegen gesellschaftlichen Normen, Gesetzen, sind nicht frei verfügbar. In jedem von uns aber schlummern sie. Jeder kämpft dagegen an. Es scheint, als wollten wir sie los haben, als befänden wir uns in einem Kampf mit ihnen.
Befinden wir uns in einer Phase des Übergangs – auf dem Weg zu einem Entwicklungsstadium, wo uns der Frieden nicht mehr langweiligt, sondern eine erstrebenswerte menschliche Tugend ist?
Mag sein. Ich wünsche es. Denn dann würden wir mit Respekt von denen reden, die ihre niederen Triebe unter Kontrolle halten. Bis heute reden wir nur von denen, die sie nicht unter Kontrolle haben und wir lernen nichts daraus, vielmehr – wir weiden uns daran. Auch das Rechtsempfinden ist nicht frei davon. Wir suchen ja förmlich die Fehler beim anderen, verurteilen sie und stellen sie unter Strafe. Ist nicht auch eine Art Krieg? Krieg findet praktisch ständig statt – als eine Form von Befriedigung tief in uns schlummernder Bedürfnisse.