Die SZ berichtet in ihrer Weihnachtsausgabe darüber, dass die menschliche Religiosität vermutlich eine Folge biokultureller Evolution sei.
Vor etwa 73.000 Jahren explodierte der Supervulkan Toba auf der Insel Sumatra und spuckte Feuer und Asche und Gift in den Himmel und verteilte diese rund um den Planeten. Die Aschewolken führten zu einer plötzlichen Kaltzeit, an die sich die meisten Menschen nicht schnell genug anpassen konnten. In Afrika blieben womöglich nur 2000 Angehörige der Gattung Homo sapiens übrig.
Unter den extremen Lebensbedingungen dieser Epoche überlebten die Menschen nur, weil sie zu neuen, besseren Formen der Kooperation fanden. Diese wurde gefördert durch ein neuartiges religiöses Denken, bei dem sich die Erwachsenen von der übernatürlichen Intuition der Kinder inspirieren ließen: In der großen Kälte der Katastrophe hätten die Menschen sich zum ersten Mal strafende Götter erdacht, die auf die Einhaltung von Spielregeln achteten. Auf diese Weise hätten die Menschen ausreichend soziale Intelligenz erworben, um Afrika zu verlassen und sich die Erde untertan zu machen.
Forscher streiten sich darüber, inwieweit Religiosität im Überlebenskampf der Evolution tatsächlich einen „Fitnessvorteil“ (Darwin) verschaft hat, oder ob sie ein Nebenprodukt der Evolution ist. Die kognitive Maschinerie sei ähnlich wie ein Rauchmelder hochsensibel eingestellt, so dass sie hinter jedem Rascheln einen möglichen Angreifer vermutet. Das führe zwar zu gelegentlichem Fehlalarm – und eben auch zur Annahme übernatürlicher Agenten.
Dennoch muss es auch einen unmittelbaren Überlebensvorteil der Religion geben, andernfalls wäre evolutionsbiologisch nicht zu erklären, wieso Menschen die enormen Kosten religiösen Verhaltens auf sich nehmen. Die Zumutungen der Religion sind offenbar so zu verstehen wie die vermeintlich unnützen Attribute mancher Tiere: Die Pracht des Pfauenrades kostet seinem Besitzer zwar viel Energie und behindert ihn, aber zugleich demonstriert der glänzende Federschmuck einem potentiellen Sexualpartner Gesundheit und Fitness.
In ähnlicher Weise sende auch der fromme Mensch „teure Signale“ aus, mit denen er auf innere Werte verweise: Wer viel Energie in kostspielige Rituale investiert, um einer Glaubensgemeinschaft anzugehören, der wird wahrscheinlich kein Trittbrettfahrer sein, der nur nehmen, aber nichts geben will.
Die „Theorie der teuren Signale“ erklärt – neben der göttlichen Strafandrohung bei Fehlverhalten – wieso Kooperation in religiösen Gemeinschaften besonders gut funktioniert. Hier liegt evolutionshistorisch offensichtlich der zentrale Vorteil der Religion.