Gestern berichtete mir meine Mutter, dass ein ehemaliger Schulkamerad gestorben sei. Er war ein Jahr älter als ich und daher immer eine Klasse über mir. Er war recht klein, dafür oder vielleicht gerade deshalb auch ein grober, wenn auch nicht unbedingt dummer Geselle, der sich gerne mal mit den anderen Jungs prügelte. Ich hatte immer etwas Angst vor ihm, obwohl er mich meiner Erinnerung nach nie verdroschen hat.
Zusammen mit zwei anderen gehörte er zu den – wie man heute sagen würde – „gewaltbereiten“ Jungen im Ort, die einigen Unsinn anstellten und als Argument gerne mal die Faust benutzten. Wenn beim Murmeln eine unklare Situation aufkam und er das Kommando „Grabtscht Eure Einsätze!“ gab, hatte man meist das Nachsehen.
Nach der sechsten Klasse habe ich ihn nicht mehr gesehen. Er hat dann, glaube ich, Schlachter gelernt und im Schlachthof gearbeitet. Später ist er dann wohl etwas heruntergekommen. Hat mit Schrott gehandelt, weshalb man ihn dann auch wohl im Ort „Schrotti“ nannte. Vermutlich zu viel Einsamkeit und zu viel Alkohol.
Als ich ihn beim Besuch der Eltern vor zwei Jahren von Weitem sah, hätte ich den verwilderten Zwerg kaum wiedererkannt. Kurz hatte mein Kleinhirn die Anwandlung, mich ihm zu erkennen zu geben und mich für die Bedrohungen in der Kindheit zu rächen. Jetzt hätte ich ihm mühelos aus seinen Stiefel schubsen können. Mein Großhirn hat aber dann aber doch gesiegt, und ich bin einfach weitergegangen. Mich hat er zum Glück nicht erkannt.
Nun ist er tot. Und ich kann mich nicht entscheiden, wie ich das finde. Armes Schwein. Irgendwie.
Du meinst wahrscheinlich Helmut K. Auf dem Schulhof konnte man seine laute Stimme stets vernehmen. Trotz seiner kleinen Statur hatte er ein gewisses Machtpotential
Er hat zuletzt in meiner Nachbarschaft gelebt. Mit seinem Hund ging er täglich spazieren. Über eine kurze Begrüssung ging aber unsere Kommunikation nie hinaus.
Sein Gesicht war mit Bart und Haaren zugewachsen, so daß man sein Gesicht kaum erkennen konnte. Er ist wohl sehr einsam gestorben.