„Denn die einen stehn im Dunkeln und die andern stehn im Licht. Und man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“ (Bertold Brecht)
Wer das ganze Jahr über dauerhaft auf einem Campingplatz wohnt, muss hart gesotten sein: Was im Sommer sicher ein wunderschönes Leben ist, stellt sich im Winterhalbjahr etwas anders dar. Über 30 Menschen wohnen inzwischen fest auf dem Campingplatz in Syke-Clues. Das Spektrum reicht vom selbstständigen Steuerberater bis zum aus dem sozialen oder gesellschaftlichen Raster herausgefallenen Bürger.
Warum wohnen Menschen hier das ganze Jahr über – das Leben ist ja nicht unbedingt komfortabel? Die Motive reichen von nicht mehr bezahlbaren Mieten über die Suche nach „Ruhe“ bis hin zu „freiem Leben“. Mancher möchte lieber nicht darüber reden, dass er hier wohnt, andere sind da ganz offen. Rüdiger ist seit seinem 23. Lebensjahr berufsunfähig, Rücken kaputt von der Schlepperei im Getränkemarkt. Viel Rente bekommt er wohl nicht. Jetzt verdient er sein Geld als selbstständiger Toilettenreiniger bei Großveranstaltungen. Sein Domizil ist ein alter Wohnwagen der Marke „Tabbert Comtesse“. Sein Leben spielt sich im Wesentlichen auf 12 Quadratmetern ab. Jetzt hat er sich einen kleinen Anbau für eine eigene Toilette gezimmert, damit er nicht mehr bei Wind und Wetter zu den Sanitäranlagen laufen muss. Strom-, Wasser- und Kanalanschluss sind vorhanden. Und immerhin ist der Wagen winterfest, eine Gasheizung spendet angenehm schnell Wärme.
Miranda wohnt hier in einem Blockhaus mit ihrem kleinen Sohn, zwei Hunden und einer Katze. Eine Voliere und Kaninchen hat sie auch. Im Holzhaus gegenüber flimmert ein riesiger LCD-Fernseher an der Wand. Auch ein Internet gibt es hier, sogar recht schnell: LTE mit 12500 mBit. Wer will, kann auch einen Festnetzanschluss fürs Telefon bekommen. Die Briefkästen befinden am Eingang des Campingplatzes – der Postbote hätte sonst sehr lange Wege auf dem riesigen Gelände. Die mittäglichen und nächtlichen Ruhezeiten werden von allen strikt eingehalten, denn die Ruhe ist hier ebenso groß wie das Ruhebedürfnis
Hier stehen Wohnwagen, Holzhäuser, sogar Zelte. Eine Ordnung mit Gartenzwergen und genau abgegrenzten Jägerzäunen, wie man sie sonst häufig auf Campingplätzen findet, sucht man hier vergebens. Die Freiheit ist hier offenbar eher grenzenlos. Alles wirkt ein wenig improvisiert. Überall begonnene kleine Baustellen. Das Pächterehepaar hat den Platz vor zwei Jahren übernommen. Arbeit ohne Ende ist seitdem garantiert.
Die Dauercamper halten zusammen, etwas wie eine Gemeinschaft ist entstanden. Man kennt und hilft sich eben in jeder Lebenssituation. Jeder kann etwas Anderes, da ergänzt man sich dann. Friedo zum Beispiel ist 56 Jahre und stammt aus Magdeburg. Er ist arbeitslos und kann sich die steigenden Mieten und Nebenkosten nicht mehr leisten. Hier hat er weniger als 200 Euro Kosten im Monat. Weil er handwerklich geschickt ist, hat er auf seiner Parzelle gleich mehrere Wohnmodule aus Holz gebaut, eins davon ist ein Badezimmer mit Dusche. Als gelernter Maurer kann er gewiss auch Rüdiger helfen, wenn der seine Toilette einbauen will.
Ulli hat insgesamt 19 Jahre Knast hinter sich, spricht das offen an, will das aber lieber nicht vertiefen. Hier jedenfalls scheint sich keiner an seiner Vergangenheit zu stören. Nicht, was einmal war, ist wichtig, sondern wie sich einer heute verhält, zählt. Hilfsbereitschaft wird hier groß geschrieben. Hier kennt eben jeder jeden. Das ist anders als in den anonymen Städten. Und weil mancher hier nicht mit weltlichen Gütern gesegnet ist, ist der Zusammenhalt größer als anderswo. Und das ist ein ausgesprochen gutes Gefühl.
Man möchte fast glauben, dass hier die einstigen Ideale der französischen Revolution ihre Renaissance feiern. Doch die Faszination dieses anderen und freien Lebens hat auch ihre Grenzen: Wieder am heimischen Kamin angelangt, schauert’s dem leicht durchgefrorenen Besucher, und er ist froh, nach diesem Ausflug in eine ihm fremde Welt wieder in sein bürgerliches Leben mit all seinen Bequemlichkeiten zurückkehren zu dürfen. Denn das Gras ist nicht immer grüner auf der anderen Seite des Zauns.
Den Radio Bremen Sendung über die Entstehung dieses Beitrags können Sie hier sehen.
Wer kennt wen? In der Radio Bremen Sendung „Buten un Binnen“ werden seit einiger Zeit
Leute, die im Sendegebiet wohnen, vorgestellt. Die jeweils vorgestellte Person benennt
dann wiederum jemanden, der fuer die Zuschauer interessant sein koennte. Zu meiner grossen Freude und Ueberaschung wurde in einer der letzten Sendungen der Inhaber dieser Webseite, der Z(w)eitgeist K.-H. Heidtmann, vorgestellt.
http://www.radiobremen.de/fernsehen/buten_un_binnen/video54420-popup.html
Ich kenne K.-H. seit meiner Jugend. Wir sind beide im gleichen Dorf aufgewachsen. Er als Einzelkind in einem intakten Elternhaus mit Grosseltern in einer Grossfamilie. Ich auf einem Bauernhof, ebenfalls behuetet aufgewachsen. K.-H. kam sehr oft auf unseren Hof, war auf Geburtstagen meines Bruders eingeladen. Im Teenageralter teilten wir die Begeisterung fuer Popmusik, besonders die von den Beatles. K.-H studierte in Bremen und wir haben uns aus den Augen verloren. Seitdem sind mehr als 40 Jahre vergangen.
Als ich ihn dann im Fersehen sah, kam er mir eher wie sein Vater vor. Da gibt es sicher eine grosse Aehnlichkeit. Er ist ja jetzt auch in einem Alter wie ich seinen Vater erlebt habe. Immer im Dorf mit dem Fahrrad unterwegs, um etwas Neues zu entdecken.
Ich teile mit K.-H. das Interesse fuer Leute die „krumme Wege gegangen sind“.
Leute mit Ecken und Kanten und die den Mut haben, ein Leben ausserhalb der Normen zu fuehren.
Lieber K.-H.,
fuer die Zukunft wuensche ich mir auf dieser Webseite noch viele interessante Beitraege.
Ich bin hier jedenfalls regelmaessig zu Gast
Lieber Dieter,
immerhin haben wir uns ab und zu mal zum Geburtstag meiner inzwischen verstorbenen Patentante Anni gesehen – ich habe auf dem Weg zu ihr gerne immer Ausschau nach Dir gehalten. Und manchmal warst Du dann da, und wir haben ein bisschen geschnackt.
Dann hat uns der „Z(w)eitgeist“ vor einigen wieder zusammengebracht – gemeinsame Erinnerungsarbeit an Sagehorn.
Ja, mag schon sein, dass ich auf meine Weise das fortsetze, was mein Vater mit dem Medium Film gemacht hat: Der (vergebliche) Versuch, die Zeit festzuhalten.
Ja, es ist schon erstaunlich, was aus den Kindern des Dorfes geworden ist – und damit meine ich nicht „Karrieren“ oder materiellen Wohlstand. Von Immanuel Kant ist der Satz: „Der Mensch ist aus krummen Holz, aus dem nichts Gerades werden kann.“ Und die Gerade ist ja auch nur ein Sonderfall der Kurve.
Freut mich, dass wir einige Themen so teilen können!