In memoriam – Peter Kurzeck

Keiner stirbt„, das war bei ihm nicht nur ein Buchtitel, sondern Programm. Nun hat sein Leben diese Woche mit 70 Jahren ein Ende gefunden.

Dass Peter Kurzeck eines Tages sterben würde, damit war zu rechnen. Doch “Schreiben ist aufgeschobene Sterblichkeit“, schrieb einst schon so treffend Cees Nooteboom. Und genau deshalb erzählte Peter Kurzeck – gleich wie in der Erzählung „Tausendundeine Nacht“ – um sein Leben: Er erzählte wie Scheherazade, um nicht wieder aufzuhören. Es schien, als wollte er damit die Zeit aufhalten: Solange er erzählte, war er nicht tot; vielleicht war er gar der Hoffnung erlegen, dem Sensenmann damit unendlich aufhalten zu können? ”Geht das: So erzählen, dass die Zeit stehen bleibt?”

Mit seinem Erzählen rettet er nicht nur sich, sondern auch die Dinge vor dem unaufhaltsamen Verschwinden in der Vergangenheit. Er zeigt dabei den Wandel, bedauert die Verluste, ohne sentimental zu werden. Denn das Alte war keinesfalls besser, es war nur anders. Seine Sehnsucht galt ihm, weil es nicht mehr existierte. „Erst nur die wechselnden Jahreszeiten. Und dann geht man und schreitet die Jahre ab.“

Deshalb muss er „durch das Jahr, all die Jahre, muss die ganze Gegend erzählen und alles, was nicht mehr da ist“.  Vielleicht resultierte diese manische Konservierungswut Peter Kurzecks biographisch aus dem Verlust der eigenen Heimat in Böhmen, hatte hier ihren Ursprung? Doch: “Wie soll man das alles aufschreiben? Alles  gleichzeitig?”

Es ist ihm viele Jahrzehnte gelungen! Denn wenn Peter Kurzeck sich an etwas erinnerte, erinnerte er sich auch daran, wie er sich damals an etwas anderes erinnert hat. So sind die Zeiten und mit ihnen die Geschichten ineinander verwoben. Kurzeck schafft  Momente, in der er vom Erzählen erzählt. Das entspricht ganz und gar seiner am Mündlichen orientierten Schreibweise. Man könnte sich in seinen Geschichten verirren und nicht wieder hinausfinden – wäre da nicht Kurzeck als ortskundiger, versierter Führer durch die Zeiten.

Kein anderes Erinnerungsprojekt der deutschen Gegenwartsliteratur, außer vielleicht das  von Walter Kempowski, ist so umfassend angelegt wie Peter Kurzecks Romanzyklus „Das alte Jahrhundert“ – er war auf zwölf Bände angelegt, von dem fünf vorliegen.

“Wie soll man die Zeit erzählen?” Mit seinen Erinnerungen rückt er die vergangene Zeit in die Gegenwart des Lesens, er, der vertriebene Bewahrer, Konservator:

Man versichert sich einerseits der Welt, aber man befreit sich auch von ihr. Es ist zugleich, denke ich, ein Heilungsprozess damit verbunden.

Die Welt wird kostbarer, wenn man Kurzeck liest – oder, noch besser, ihn hört. Auch die darin vorkommenden Menschen werden besser, aber nicht deshalb, weil sie fälschlicherweise für gut erklärt würden, sondern weil Kurzeck sie so unendlich liebevoll betrachtet!

“Alles, was du weißt, weißt du allein nur vom Zusehen. Vom richtigen Zusehen! Dass man steht und gafft und sich ausdenkt, wie es für diese Menschen, Tiere und Pflanzen ist, dass sie jetzt diese Menschen, Tiere und Pflanzen sind. Jetzt und immer. Und genauso die Häuser und Wolken und Steine, Dampfloks, Frachtkisten, Zettel und Staub im Wind. Alles, was da ist. Man denkt es sich nur aus, sagte ich. Man kann es spüren. Mit dem ganzen Körper.“

Wer für Peter Kurzecks Erinnerungsarbeit und Erzählweise empfänglich ist, dem droht eine lebenslange (Sehn-) Sucht nach seinen Texten – bis weit über den Tod hinaus.

„Ist das jeden Abend wieder, dass dein Leben dir vorkommt wie ein einziger langer Tag? Oder als ob du dir alles selbst ausdenkst und immer weiter selbst ausdenken musst?“

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