Der wichtigste Mensch im Leben

Womit beschäftigt sich der Mensch am liebsten? Wovon erzählt er gerne? Auf wen ist es besonders stolz?

Als Antworten sind „Kinder“, „Enkel“, „Hobby“ usw. erwartbar. Doch werden diese Antworten von einer Institution übertroffen: Dem „Ich“!

Das mag am natürlichen Selbsterhaltungstrieb liegen.
Es mag auch der zunehmenden Individualisierung geschuldet sein.
Vielleicht wird es gar vom egomanischen Zeitgeist unterstützt?
Oder ist es nur eine Gegenwehr im Zeitalter des Konformismus?
Erfindet der Mensch sich selbst zunehmend als vermarktbares Produkt?

Bereits nach wenigen Lebensmonaten lernt ein Neugeborenes, sich selber von den anderen Dingen und den anderen Menschen zu unterscheiden: Es entwickelt ein erstes Bewusstsein. In den folgenden vier Lebensjahren lernt es, dieses sich seiner selbst bewusst sein zu füllen – eine bemerkenswerte Leistung.

Auch die christliche Religion hat dem Ich nicht nur mit: „Ich bin, der ich bin“ (Exodus 3,14) ein Denkmal gesetzt – auch der Name „Jesus“ will nicht zufällig erscheinen – „je suis“, „yo soi“ usw. – „ich bin“. Auch die Psychologie beschäftigt sich letztlich mit nichts Anderem (das Freudsche „Es“ und „Über-ich“ lassen wir hier einmal dezent aus).

Manchen Menschen mangelt es an „Selbst-Bewusstsein“, andere haben zu viel davon. Wird das Selbstkonzept übererfüllt, dann gesellt sich zu dem „Ich“ gerne ein latenter Narzissmus – die Literatur ist voll von selbstverliebten Protagonisten – wem fiele nicht sofort Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Gray“ ein?

Doch auch in der gesellschaftliche Realität nimmt die Zahl er Solipsisten zu: Vor lauter Selbstverliebtheit bemerken viele Menschen gar nicht, dass sie im Gespräch ausschließlich begeistert von sich selber erzählen. Talk Shows bieten gute Bedingungen für psychologische Feldstudien. Doch im „egoloop“ gefangen bleibt das Ich nur die Beta-Version eines eigenen Traums über sich.

Gnadenlose Selbstdarsteller  machen Zuhörer zu Statisten und ignorieren, dass diese vielleicht auch gerne selber etwas zum Gespräch beitragen würden. Man weiß doch inzwischen: „Der Mensch wird am Du zum Ich“ (Martin Buber). Bereits in der Antike lautete Aristoteles Forderung deshalb „Werde, der Du bist!“

Dem „Ich“ folgt in westlichen Gesellschaften gerne das Possessivpronomen „mein“ auf dem Fuße: „Mein Haus, Mein Boot, meine Frau!“ Aber das ist ein anderes Thema.

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