Es gibt Schauspieler unserer Generation, die sind von den Theaterbühnen nicht wegzudenken. Otto Sander war einer davon – ein ganz großer zudem.
Damals an der Berliner „Schaubühne am Halleschen Ufer“ arbeite er sich unter Peter Stein zum viel beachteten Schauspieler empor. Unvergessen Steins Inszenierung von Gorkis „Sommergäste“ mit Jutta Lampe und Edith Clever oder Tschechows „Drei Schwestern“; später dann seine Rollen in Wim Wenders Filmen („Der Himmel über Berlin“), wo er mit Bruno Ganz seinen Idealpartner fand. Nicht wegzudenken auch seine Tätigkeit als Vorleser so vieler literarischer Texte – unvergleichlich und uneinholbar seine Rezitation vom Rilkes „Herbsttag„! Wunderbar auch seine Auftritte mit Ziehsohn Ben Becker, zum Beispiel im Polizeiruf 110 („Totes Gleis„).
Seine warme, sonore, nasale und leicht schnarrende Stimme hatte gleichwohl einen singenden Klang, und es schien, als ob er nie Luft zu holen brauchte. Dabei war er, der er von der Bühne nicht lassen konnte, von seinem Wesen her wohl eher ein scheuer Mensch. Schon als Sechsjähriger, bekannte er einmal, habe er unter beklemmender Schamhaftigkeit gelitten – wohl vor allem seiner flammroten Haare wegen. Er löste das Dilemma, in dem er die Blicke bewusst auf sich zog: Er wurde Schauspieler. Seine über viele Jahre exzessive Lebensweise mag Ausdruck dieses inneren Konflikts gewesen sein.
Überhaupt hat er sich stets für seine Rollen geschunden. Als Ritterkreuzträger Thomsen in Wolfgang Petersens „Das Boot“ trinkt er gegen den Untergang an, doch man sieht, dass er selber weiß, dass das nicht helfen wird. Genau dieser feine Grenzgang zwischen dem Sein und dem Grauen, das war sein Fach. „Ihr naht Euch wieder, schwankende Gestalten“, heißt es in der Zueignung von Goethes Faust. Es könnte Otto Sanders Lebensmotto gewesen sein. Und doch hat er den Olymp schon früh und unbeirrt erklommen. Immerhin konnte er im Juni noch seinen 72. Geburtstag feiern.
Wir aber leben und schwanken noch eine kleine Weile weiter. Doch werden wir ihn vermissen und uns mit seinen auf- und ausgezeichneten Werken und einem guten Glas Rotwein zu trösten versuchen. Salve, Otto Sander! Und hab Dank für all die Schinderei – Du hast uns vieles gezeigt und alles gegeben. Wir fahren faustisch fort:
„Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen
Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich,
Es schwebet nun in unbestimmten Tönen
Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich,
Ein Schauer faßt mich, Träne folgt den Tränen,
Das strenge Herz, es fühlt sich mild und weich;
Was ich besitze, seh ich wie im Weiten,
Und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.“