Immer im besten Licht

Der Mensch verfügt über die erstaunliche Fähigkeit, sich und seinen Lebensweg als ultima ratio darzustellen – und sich selber oftmals gar zum Leitbild für andere zu erheben.

Dieser Tatsache sind wir bereits an anderer Stelle im Zusammenhang mit dem Begriff der „kognitiven Dissonanz“ nachgegangen: Menschen stehen nämlich ständig vor der Wahl, ihre Handlungen als falsch einzusehen oder aber sie in ein positives Licht zu rücken – vermutlich ein Trick der Natur für eine Überlebensstrategie auch in negativen oder hoffnungslosen Situationen.

Auch in Beziehungen halten sowohl eingefleischte Singles wie überzeugte Paare ihre jeweilige Lebenssituation für den Idealzustand. Studien der Universität Stanford (Psychological Science, online) beweisen, je stärker Menschen das Gefühl haben, an ihrer Lebenssituation werde sich so bald nichts ändern, desto intensiver finden sie Gründe dafür, ihre Art zu leben zu verklären: Was sich nicht (mehr) ändern lässt, wird alsbald für gut befunden, um damit besser leben zu können.

„Ich glaube, ich bin die Einzige, die sich selber treu geblieben ist!“, sagte die 65-jährige Gudrun R. bei einem Treffen von ehemaligen Freunden, die alle in einer Paarbeziehung leben und teilweise auch Kinder haben – sie hingegen lebt weiterhin allein und ist kinderlos. Der Mensch ist eben – nachträglich – mit Entscheidungen glücklicher, die er ohnehin nicht mehr ändern kann.

Das Gleiche gilt für Anhänger politischer Systeme, Glaubensrichtungen, Fußballvereinen usw. Und so gerät so mancher krumme Lebensentwurf nachträglich doch noch zur Erfolgsstory. Um nicht in Gefahr zu geraten, dass dieser in der Zielgeraden doch noch in Frage gestellt wird, gehen sich Singles und Paare ebenso aus dem Weg, wie man nicht (mehr) mit den Vertretern anderer Parteien oder Religionen usw. spricht. Das Gleiche gilt im Wortlaut sicher auch für den einst ausgewählten Ehepartner – man hätte es sicher auch schlechter treffen können.

Auch der Aufklärer Immanuel Kant war letztlich dem Denkfehler des Übertragens eigener Handlungsmaximen auf andere Menschen aufgesessen, als er seinen „kategorischen Imperativ“ formulierte – auch wenn es sicher gut gemeint war.

(Quelle: Süddeutsche Zeitung, 28. Juni 2013, Seite 14)

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