Wir gehen mal „brunchen“

Das gemeinsame Essen ist ein uraltes und gemeinschafstiftendes Ritual, das in unserer  modernen Welt immer häufiger auf dem Altar der knappen Zeit geopfert wird. Grund genug für unser für seinen Ideenreichtum bekanntes Wirtschaftssystem, auch dieses Bedürfnis kommerziell zu befriedigen.

Seit ein oder zwei Jahrzehnten – obwohl eigentlich schon im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert entstanden – grassiert der „Brunch“, jene englischsprachige Wortschöpfung für eine Mahlzeit, die aus „breakfast“ und „lunch“  besteht. Ein altes deutsches Synonym für Brunch lautet „Gabelfrühstück“ (etwas antiquiert aber doch bildhaft), man könnte auch wohl „zweites Frühstück“ sagen.

Ein Brunch beginnt am Vormittag frühestens ab 10:00 Uhr und wird oft bis in den frühen Nachmittag ausgedehnt – die Schlacht am Buffet geht mancherorts nämlich nahtlos zum Kaffee-und Kuchenangebot über. Gerne bietet die Gastronomie am Wochenende Brunch als kalt-warmes Buffet zum Pauschalpreis an. Die Nachfrage scheint enorm: Ohne Reservierung geht es mancherorts nicht.

Was treibt Menschen an einem Sonntag ins Restaurant, zu einer Zeit, als man einst in die Kirche ging? Ist dies auch ein Ergebnis einer fortgesetzten Säkularisierung? Macht das Geistliche nicht mehr satt? Oder ist dies der kongeniale neue (Gourmet-) Tempel für den modernen Menschen?

Doch für eine Zeit der Andacht ist es im Lokal entschieden zu laut und unruhig; weil das  ein Buffet ist, i(s)st das ganze Volk ständig unterwegs. Keine Freude für das niederschwellige Nervenkostüm, und Kommunikation gelingt nur im oberen Dezibelbereich.

Es fallen überdurchschnittlich viele übergewichtige Menschen auf, die die Waffel mit heißen Kirschen und Sahne als Nachtisch aber auf keinen Fall auslassen können – auch wenn der Gang zum Buffet angesichts eines Körpergewichts von über 150 kg beschwerlich ist. „All you can eat“ heißt das zeitgeistige Angebot – da will man dem Wirt ja nichts schenken und schlurft und schiebt nochmal zu den Auslagen. Vermutlich handelt es sich hier um einen „Cross-over-Effekt“ des Schnäppchenjägers: Hier kann er reichlich Beute machen! „Haben wir noch etwas  übersehen, Muttern?“ Geht nicht vielleicht doch noch ein Pudding rein?

Nur wenige sind offenbar angesichts von Lockpreisen unter 10 Euro skeptisch, was die Qualität der eingesetzten Waren betrifft. Wer weiß schon, was das für Eier im Rührei sind? Der Pudding mit Amaretto-Geschmack ist jedenfalls von Dr. Oetker. Immerhin, der Tee wird mit samt Stöfchen portionsweise im Papierfilter geliefert. Doch bei diesen niedrigen Preisen, kann die Ware nur billigst eingekauft worden sein. Kein Wunder, dass ein vergleichbares Angebot in ökologischer Ausführung das Doppelte kostet!

Spätestens seit den Ausführungen von Abraham Maslow zu den primären und sekundären Bedürfnissen von Menschen weiß man, dass, wer aushäusig essen geht, dies nur selten tut, nur weil er Hunger hat. Hinzu kommt der soziale Aspekt: Man kommt mal unter die Leute. Unerwartete Begegnungen sind durchaus möglich: Ist das nicht Herr Döhle dort? „Darf ich Ihnen meine neue Frau vorstellen?“

Aber sonst? Die Erkenntnis, dass Masse nicht gleich Klasse ist, setzt sich einmal mehr durch – nur eben noch nicht bei allen.

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