Gesprächsmedizin – bei „Burn-out“

Der bekannte Allgemeinmediziner berichtet von einem enormen Anstieg des Anteils der „Gesprächsmedizin“ in seiner Praxis. Der Druck in den Unternehmen auf die Mitarbeiter sei groß, berichteten ihm seine Patienten, die sich nicht trauten, sich von ihm bei einem grippalen Infekt auch nur eine Woche krank schreiben zu lassen. Sie hätten Angst um ihren Arbeitsplatz. Nicht unbegründet, wie der Arzt inzwischen weiß: Mancher bekommt nach seiner Rückkehr eine Kündigung ausgehändigt.

Wie er denn zu dieser Befähigung gekommen sei, als Allgemeinmediziner („Hausarzt“) solche psychotherapeutischen Gespräche führen zu können, frage ich ihn? – „Da kann man so einen Schein machen„, verrät er mir. Das lohnt sich offensichtlich: Für ein EKG erhält er gerade mal 11 Euro, ein solches Gespräch kann er wesentlich höher abrechnen, auch bei Kassenpatienten!

Seit einigen Jahren kursiert der Begriff „Burn-out“ in den Medien. Mancher winkt ab und verweist darauf, dass es eine solche Symptomatik schon immer gegeben habe, eben nur unter anderem Namen – so gab es einst den Begriff der Neurasthenie.

Unternehmer können es nicht fassen, dass ihre Angestellten bei dieser Diagnose zwei bis drei Monate aus dem Verkehr gezogen werden, ist doch ihr eigenes Motto „Eine Arbeitswoche unter 80 Stunden ist keine!“

Krankenkassen sind hingegen alarmiert und versuchen der Sache schon länger auch präventiv beizukommen; denn die Kosten für dieses Krankheitsbild sind hoch. Arbeitswissenschaftler warnen seit Jahren vor den Folgen zunehmender Beschleunigung, besonders aber der Zeitverdichtung.

Was ist also dran am „Burn-out“, das als eine Form der Depression gilt? Ist es mehr als eine „modische“ Erscheinung? Und gehorcht sie ausschließlich den äußeren Veränderungen der Arbeitswelt? Oder haben wir es mit einem Konglomerat von veränderter Arbeits- und Lebenswelt zu tun? Doch nicht bei jeder leichten Befindlichkeitsstörung handelt es sich um einen „Burn-out“. Ein diffuses Störungsbild lässt eine gigantische „Burn-out“-Industrie entstehen.

Wenn die Lebenswelt mehr und mehr zur Individualisierung und Vereinsamung führt, und die Arbeitswelt soziale Kontakte immer weniger zulassen will – Raucher müssen draußen bleiben, Pausen werden immer weiter reglementiert, Toilettengänge gezählt, mancher Arbeitgeber versucht gar, das Privatgespräch am Arbeitsplatz per schriftlicher Anweisung zu unterbinden – wo soll der Mensch dann heil bleiben oder werden? Bei der Gesprächsmedizin bei seinem Hausarzt? Vermutlich, denn der hat jetzt den nötigen Schein dafür!

Anschließend kehrt der Patient dann wieder zu seinem Ekel-Chef zurück.

Dieser Beitrag wurde unter Gesundheit, Psychologie abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.