Depression – eine Volkskrankheit?

Die dunkle Jahreszeit zeigt Wirkung, viele Menschen sind missgestimmt, sie haben den „Blues“. Doch auch zu sommerhellen Zeiten neigen manchen Menschen zu Schwermut:

Ich habe monatelang unter Depressionen gelitten und hatte zu nichts mehr Lust!“ verrät der Verwaltungsfachmann erstaunlich offen. „Ohne Anti-Depressiva wäre ich nicht arbeitsfähig“, gibt die Sozialpädagogin zu. Der Zeitungsredakteur löst seine Probleme hingegen allabendlich in Alkohol auf.

Freund Albert ist – schon solange wie ich ihn kenne – depressiv. Seit vielen Jahren sieht man es ihm auch an: Sein Gang ist gebeugt, das Gesicht zerfurcht, die Mundwinkel hängen, die Augen blicken traurig. Vermutlich hält ihn nur noch sein Freund Johnny Walker über Wasser. Er sagt schon immer von sich selber: „Ich bin ein Verlierer!“

Freund Max schickte gar einen schriftlichen Hilferuf an alle Freunde: „Mir fehlt oft die Kraft und Energie, alles alleine zu schaffen und optimistisch in die Zukunft zu blicken. Der gegenwärtige Druck ist enorm. Trotz regelmäßiger psycho-therapeutischer Hilfe und medikamentöser Unterstützung fällt es mir schwer, alleine klarzukommen.“

Freundin Paula schreibt: „Jetzt ist es doch wieder so weit, bin in meine übliche jährliche weihnachtliche Depression verfallen. Immerhin habe ich diesmal bis zum 13.  durchgehalten, das ist schon viel später als sonst und somit eine gute Leistung.“

Auch viele Geistesgrößen wie Thomas Mann waren nachweislich depressiv: „Aber ich war in den letzten acht Tagen so elend, daß ich mich zu den kleinsten Geschäften untauglich fühlte. Das kommt alle acht oder zehn Wochen mal vor.“

Depressionen sind ernst zu nehmende „Gemütserkrankungen“. Doch ähnlich, wie viele Menschen sich fragen, ob „Burn-out“ ein neues grassierendes Krankheitsbild sei oder nur eine Variante der klassischen Depression, darf man einmal fragen, ob die Depression nicht möglicherweise ebenso wie ihr Gegenteil, die Euphorie, zum menschlichen Wesen – zwingend – dazu gehört? Bei der Betrachtung von Gläsern sind diese eben nicht nur „halb voll“ statt „halb leer“, sondern manchmal tatsächlich „leer“.

Doch längst nicht alle gehen so offen offen mit dem Thema um, wie der Kollege aus dem Amt. Bei genauerer Betrachtung kann der Eindruck entstehen, dass die Depression mit zunehmenden Alter gar zum alltäglichen „Normalzustand“ wird.

Dabei hat die Depression viele Gesichter – und Auslöser sind oftmals altersbedingte körperliche Einschränkungen, Krankheiten oder der Gedanke an die eigene Vergänglichkeit, mit der Menschen selten umgehen können: „Wir wissen, dass wir sterben müssen, aber wir glauben es nicht, weil wir es nicht denken können.“ (Sibylle Lewitscharoff)

Nicht jeder nimmt es so lakonisch wie der Schauspieler Axel Milberg: „Ich leide an der Vorstellung, dass wir sterben müssen, ich empfinde das als eine Einmischung ins Privatleben.“ Ludwig Wittgenstein (depressiv nach dem I. Weltkrieg) sah es nüchterner: „Der Tod ist kein Erlebnis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht.“

Die Frage ist, ob die Versorgung mit Medikamenten der Depression im Alter gerecht wird oder ob auch dieses „Behandlungsmuster“ zu kurz greift. Viele Menschen sind schlicht einsam oder es fehlt ihnen zumindest an Menschen, denen gegenüber sie sich vertrauensvoll öffnen können. Denn die Unterdrückung der Symptome ist nicht identisch mit der Heilung einer Krankheit.

Wir halten es einmal mehr mit Thomas Mann (rezidivierend depressiv): „Der Mensch soll um der Güte und Liebe willen dem Tod keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken“ und empfehlen bei leichten (in schweren Fällen ist die therapeutische Hilfe von Fachspezialisten und ggf. Medikation unerlässlich) depressiven Verstimmungen einen stabilen Freundeskreis (und Freunde, die diesem Begriff auch gerecht werden) sowie hinreichend Bewegung, möglichst an frischer Luft, denn „Trägheit macht traurig“ (Thomas von Aquin). Dann spricht auch gewiss nichts gegen ein gutes Gläschen Rotwein am Abend: „Rotwein ist für alte Knaben eine von den besten Gaben.“ (Wilhelm Busch, oft depressiv verstimmt und den bekannten Ausspruch formulierte: „Wer Sorgen hat, hat auch Likör!“)

Lassen wir einen weiteren intimen Kenner von (manischer) Depression und gutem Wein zu guter Letzt zu Worte kommen: „Manches können wir nicht versteh’n. Lebt nur fort, es wird schon geh’n.“ (JW v Goethe)

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