Die Lüge – eine kulturelle Leistung

Wer einmal lügt, dem glaubt man angeblich nicht. Lügen sollen laut Volksmund auch „kurze Beine“ haben. Bereits im achten Gebot heißt es: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“, verkürzt im Satz: „Du sollst nicht lügen!“

Doch evolutionär betrachtet ist die Lüge eine interessante und beachtliche Leistung. Kein anderes Lebewesen als der Mensch kann nämlich lügen – und das nicht nur, weil Tiere nicht über Sprache verfügen.

Gewiss, von Raben weiß man zum Beispiel, dass sie täuschen können, indem sie vorgeblich irgendwo Futter verstecken, es dann aber ganz woanders unterbringen, wenn sie sich von rücksichtslosen Artgenossen beobachtet fühlen. Doch die Lüge ist im Gegensatz zur „Täuschung“ auf Sprache angewiesen – mündlich oder schriftlich.

Ab dem Alter von etwa vier Jahren vermag der Mensch zu lügen. Die Fähigkeit dazu hängt von seiner Gehirnentwicklung ab: Die Voraussetzung für das Lügen ist nämlich, dass sich Kinder in das Denken von anderen Personen hineinversetzen können.

Lügen haben viele Gründe. Manchem dienen sie dazu, einen Vorteil zu erlangen  oder einen Fehler bzw. eine verbotene Handlung zu verdecken und so einer Strafe zu entgehen. Gelogen wird aber auch aus Höflichkeit, Scham, Angst, Unsicherheit oder Not („Notlüge“). Bis zu 200 Mal am Tag helfen sich Menschen angeblich mit großen und kleinen Lügen durch den Alltag, sagt eine dieser meist typisch übertriebenen US-amerikanischen Studien – oder ob die puritanischen Amerikaner tatsächlich verlogener sind? Manchmal möchte man es glauben.

Immanuel Kant schrieb im Jahre 1797 einen Beitrag über die Notlüge: „Über ein vermeintliches Recht, aus Menschenliebe zu lügen„. Er stellt darin klar, dass die Wahrheit nicht im Belieben der Menschen stehe. Wer die Wahrheit begrenze, vernichte die Grundlagen des gemeinsamen Lebens. Dann sei auf nichts mehr Verlass. Kant gab auch dies zu bedenken: Wer um eines anderen Menschen willen lügt, der übernimmt  die Verantwortung für dessen Leben und nimmt ihm die Freiheit zur eigenen Entscheidung.

Das Lügner-Paradoxon stammt von Eubulides:

„Wenn ich lügend sage, dass ich lüge, lüge ich oder sage ich Wahres?“
„Du sagst Wahres.“
„Wenn ich Wahres sage und sage, dass ich lüge, lüge ich?“
„Du lügst offenbar.“

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