Die Kanzlerin sprach gestern wieder einmal einem Kabinettsmitglied ihr „vollstes Vertrauen“ aus. Wenn es soweit ist, ist es meist nicht mehr weit.
Ein akademischer Grad ziert nicht nur die Visitenkarte, sondern gilt auch als Beweis intellektuellen Vermögens – etwas, das mancher materiell Erfolgreiche nicht hat und sich als Krönung seines Lebens gerne kauft – der Handel mit akademischen Titeln floriert seit Jahrzehnten.
So verlieh die Universität Hildesheim Carsten Maschmeyer (AWD) den Titel eines Ehrendoktors. Zuvor hatte dieser eine Professur mit einer Spende von 500.000 € gefördert. Die Laudatio hielt übrigens Christian Wulff.
Eine andere Möglichkeit: Man lässt schreiben. Wer selber das Handwerk versteht, sich aber keine zwei oder drei Jahre Zeit für die Erlangung eines akademischen Grades nehmen möchte, schreibt kurzerhand ab. Einst war das nicht so einfach nachzuweisen, in Zeiten des Internet kann das fast jeder.
Annette Schavan ist offenbar die nächstes Kandidatin, deren Doktortitel nachträglich gefährdet scheint. Erziehungswissenschaften, Philosophie und katholische Theologie hat sie in Bonn und in Düsseldorf studiert und offenbar ohne Diplom- oder Magisterprüfung beendet.
Promoviert (in Ausnahmefällen geht das ohne Studienabschluss) hat sie über das Thema: „Person und Gewissen – Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“ – ohne Zweifel ein interessantes – inzwischen nun wohl auch pikantes – Thema.
Niemand ist frei von Schuld. Doch wer die Latte selber so hoch hängt, muss sich wohl oder übel auch selber an ihr messen lassen. Dass die Angelegenheit rechtlich längst verjährt ist, steht auf einem anderen Blatt. Hier geht es um die Glaubwürdigkeit der Person, einer Amtsperson, der Ministerin für Bildung und Wissenschaft zudem.
Guttenberg, Volk, Koch-Mehrin und jetzt Schavan. Dass die Beschäftigung mit den Dissertationen, insbesondere von Mitgliedern der Regierung, nicht frei von Oppositionsinteressen usw. ist, und in manchem Fall gewiss die Absicht vorliegt, den Amtsinhaber schlicht zu diskreditieren oder schädigen, ist offensichtlich.
Doch die Plagiatsvorwürfe sind das Eine. Das Andere sind die – auch in anderen Vorwurfszusammenhängen zu beobachtenden – „Rückzugsgefechte“ der Beschuldigten.
Zunächst wird alles bestritten und „entschieden zurückgewiesen“. Wenn die Sachlage nicht mehr zu leugnen ist, werden „handwerkliche“ Fehler eingeräumt.
Ganz Unverfrorene geben jetzt vielleicht noch ihr „Ehrenwort“. Wenn die Beweislast erdrückend wird, spricht man von „Rufmordkampagne“. Am Ende tritt man „zum Schutze des Ansehens des Amtes“ zurück.
Es ist dieses scham- und charakterlose Verhalten mancher Politiker, das man auch „Schmierentheater“ nennen könnte, das den Ruf der Politikerkaste insgesamt nachhaltig und fortgesetzt schädigt und die Frage nach dem Zusammenhang von Person und Gewissen in der Tat stellen lässt.
„Denn das ist alles nur geklaut, das ist alles gar nicht meine, das ist alles nur geklaut, doch das weiß ich nur ganz alleine, das ist alles nur geklaut und gestohlen, nur gezogen und geraubt. Entschuldigung, das hab‘ ich mir erlaubt.“ (Prinzen)
Die Vorwürfe gegen Frau Schavan sind erheblich, aber die Dissertation liegt auch schon so lange zurück, das ist doch jetzt ganz unwichtig. Außerdem gilt bis zum Ende des Verfahrens die Unschuldsvermutung. Das jetzt aus dem laufenden Verfahren Informationen an die Öffentlichkeit gegeben werden, liegt bestimmt am Vorwahlkampf. Viel wichtiger wäre es doch, sich mit den Missständen im Hochschulbereich zu beschäftigen: Überfüllte Hörsäle nach den Doppeljahrgängen, intransparente Studienplatzvergabe, geringe soziale Durchlässigkeit beim Studium. Das Plagiatsthema lenkt von den wahren Problemen ab. Aber es ist typisch, dass das System von oben herab marode ist.
Da fällt mir nur ein:“ Und täglich grüsst das Murmeltier!“