Vollkostenrechnung – die Ware Leben

Staaten, Unternehmen, Gesellschaften haben vor einigen Jahrzehnten damit begonnen, alle ursprünglichen Aufgaben und Aktivitäten unter Vollkostenrechnungsgesichtspunkten zu betrachten. Betriebswirtschaftliche Vorteile stehen seitdem menschliche Nachteile gegenüber.

Ob im gleichen Zuge oder als Konsequenz wurde die gesamte öffentliche Daseinsvorsorge fast ausnahmslos privatisiert: Wasser, Strom, Müllabfuhr, Gesundheit, Wohnen, ÖPNV sind seitdem keine öffentlichen Aufgaben mehr, sondern „Kosten“. Bis dahin wurden diese Bereiche als lebensnotwendig für eine Gesellschaft betrachtet und bedenkenlos subventioniert.

Ein privatwirtschaftliches Unternehmen denkt da ganz anders: Nicht nur müssen erbrachte Leistungen möglichst kostendeckend erbracht werden, sondern sie müssen idealiter zusätzlich auch einen Gewinn abwerfen.

Das ist ein Quantensprung, den bereits Ökonomen wie Marx/Engels lange vorausgesehen hatten: Die Subsumierung aller Lebensbereiche unter das Gesetz des Kapitals; alles wird zur Ware: Essen, trinken, wohnen, leben, lernen, lieben, sterben.

Altruismus ade

Das, was einst selbstverständlich und bar jeder Kosten war, erhielt nach und nach Waren- und damit Geldcharakter.

Niemand sollte sich daher wundern, wenn die ökonomisch erfolgreichen Gesellschaften bald mangels Nachwuchs aussterben: Kinder amortisieren sich nämlich nicht. Jedenfalls nicht für die Erzeuger. Möglicherweise für die Gesellschaft: Das eingesetztes Kapital für die Ausbildung (Kostenart) könnte sich unter stabilen Verhältnisse möglicherweise verzinsen. Da macht es dann plötzlich durchaus Sinn, das Abitur bereits nach zwölf Jahren zu institutionalisieren und genau festzulegen, wie viele Credits man für einen Bachelor-Abschluss international braucht. Ein kompliziertes System (Kostenarten) von Kindergeld, Kiga-Kosten, Studiengebühren, Studienförderung, absetzbare und nicht absetzbare Kosten hält das Ganze zusammen.

Nun kann man auch im Voraus berechnen, wie alt ein Mensch wird und wie viel finanziellen Aufwand es für das pflegebedürftige Altern (Kostenstelle) bedarf. Weil die Kosten recht hoch sind, werden sie per Pflegeversicherung (und demnächst nach Röslers Willen „Pflegekostenzusatzversicherung“) auf den Bürger (Kostenträger) umgelegt.

Und weil sich das gesellschaftliche Sein inzwischen auch in das Bewusstsein des privat Lebens eingenistet hat, gibt es auch dort klar geregelte Versorgungsausgleiche, Kinderunterhalt usw. im Scheidungsfall. Kaum jemand tut dem Anderen noch etwas „zuliebe“. Stattdessen wird alles sorgfältig gegeneinander aufgerechnet: Geschirrspüler ausräumen gegen Taschengeld, Autonutzung gegen Rasenmähen, Wäschewaschen und Kochen gegen Haushaltsgeld.

Kaum einer merkt noch, wie weit wir uns damit von unserer Natur und den Grundlagen einer „Sozialgemeinschaft“ entfernt haben. Wie arm ist unser Gesellschaft wegen oder trotz Vollkostenrechnung doch geworden!

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