Immer wieder montags – kommt die Erinnerung

Was macht man, wenn man das Rentenalter erreicht hat, vielleicht nicht mehr ganz so fix und mobil ist wie einst im Mai und einem die Zeit manchmal lang wird?

Hanne sagt, irgendwie müsse man die Zeit ja rumkriegen – und lädt deshalb alle vier Wochen montags sieben oder acht andere Dorfbewohner zum Kaffeeklatsch ein. Die Frauen sind – wie in dieser Altergruppe meist – in der Überzahl.

Als Erna noch lebte, traf man sich jeden Montag. Nach ihrem Tode hat Bruder Eberhard diese Tradition beibehalten – sommers in seiner Gartenlaube, winters in der guten Stube. Eberhard war dann der Motor dieser kleinen Gemeinschaft, er kochte gerne für alle – war er doch mal lange Jahre selber Gastwirt gewesen. Nachdem man den Schock über seinen plötzlichen Tod überwunden hatte, übernahm Hanne die Regie.

Natürlich wird viel erzählt über das, was in der Zwischenzeit so alles passiert ist. Hier erfährt man all das, worüber die Zeitung nicht berichtet: Das Haus von Herrmann Esselmann (Milchhandel, Taxiunternehmen, Bestattungsunternehmen, zuletzt Altenheimbesitzer) neben Meyers ist ebenso abgerissen worden wie das vom Bäcker Esselmann. Und dem einstigen Schulmeister geht es gesundheitlich leider auch nicht gut. Brün sein Betrieb sei mit 100 Kühen eigentlich nicht mehr wirtschaftlich, der Trend gehe zu 300 Tieren und mehr! Und überall entstehen jetzt diese Biogasanlagen, stellt Johann resigniert fest.

Ein weiterer großer Themenkreis ist die Vergangenheit. Hier weiß jeder ein bisschen und das zusammengefügt ergibt dann eine Geschichte, die der Wahrheit nahe kommt: Oma Semper war kein Flüchtling, sondern wohnte im Ort, weil sie in Bremen ausgebombt worden war. Oma Schneider hingegen stammte aus Schlesien. Und der russische Zwangsarbeiter von Mindermanns war gar kein Russe, sondern Serbe!

Für einige Stunden entsteht hier ein Gefühl von Gemeinschaft – das ist genau das, was alle Menschen immer mal wieder brauchen. Saß man einst um ein Lagerfeuer herum, sitzt man nun im großen und gut geheizten Esszimmervon Hanne; Platz genug für mindestens zehn Leute. Heute fehlt nur Erika; die hatte irgendeinen anderen Termin.

Man fühlt sich wohl hier, vergisst für ein paar Stunden die Sorgen des Alltags, langt tüchtig zu beim Kuchen. Alkohol gibt es nicht. Zu früh am Tag! Aber der Kaffee ist stark und schmeckt offenbar allen gut! Natürlich sind der Butterkuchen und Amerikaner heute selbst gebacken! Und das schmeckt man!

Am Ende zahlt jeder fünf Euro in die „Kasse“ ein. Selbstredend, dass darüber ordentlich Buch geführt wird. Zwei Mal im Jahr machen dann alle zusammen einen gemeinsamen Ausflug in die nähere Umgebung, natürlich mit Essen!

Nächste Woche besucht man zu dritt oder viert die 87-jährige Margret, die ja nicht mehr aus dem Haus kann, aber von allen immer noch am meisten von früher weiß!

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Eine Antwort zu Immer wieder montags – kommt die Erinnerung

  1. Diedrich Osmers sagt:

    Du erwähntest im Zweitgeist den Abriss der Häuser in Sagehorn. Mit dem Abriss der Bäckerei hat die Ära Bäckerei Esselmann jetzt endgültig ein Ende gefunden. Das Haus stand genau auf der Grenze zwischen Sagehorn und Oyten. Ich habe buchstäblich in letzter Minute noch einige Fotos machen können. Beim Abriss des Hauses neben Meyer (ehemals Esselmann, Elternhaus meiner Schwägerin) bin ich leider zu spät gekommen. An der gleichen Stelle stand bis Ende des 2. Weltkrieges ein altes reetgedecktes Bauerhaus, das in den letzten Kriegstagen durch Kriegseinwirkungen zerstört wurde. Das Dorfbild ändert sich rasant.
    Gruß Didi

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