Mobbing – mehr als „hänseln“

Vor einigen Tagen war ich bei einem Vortrag zum Thema „Mobbing“. Ich hatte mit einem vollen Haus gerechnet und wurde dann doch sehr enttäuscht (16 Personen inkl. Referentin). Dabei kam bei mir die Frage auf: Wo sind eigentlich die Lehrer/-innen an diesem Abend?

Sicher, mir ist Thema bekannt. Ich hatte so meine Vorstellungen aus diversen Berichten. Je länger der Abend aber andauerte und je tiefer wir in die Geschichte einstiegen, desto klarer wurde mir, dass ich den ganzen Horror noch nicht einmal ansatzweise kannte!

Es wurden keine Geschichten erzählte oder Überlieferungen von Gehörtem, sondern täglich Erlebtes aus dem Schulalltag eines Gymnasiums. Ganz schlimm in seiner Dimension ist offenbar das Mobbing im Internet mit seinen ganzen Facetten, in der Fachsprache auch „Cyber-Bullying“ genannt. Gerade bei dieser Art von Mobbing weiß das Opfer überhaupt nicht, aus welcher Richtung und von wem es kommt. Die Täter arbeiten mit Kürzeln oder willkürlichen Namen und sind damit anonym.

Besonders erschreckend war für mich, dass man keine Handhabe hat und kaum etwas tun kann, wenn die Betroffenen (Opfer) sich nicht öffnen. Wie wir darüber hinaus erfahren konnten, hat auch eine Öffnung Stolpersteine.

Schon in der Schule müssen Lehrer/-innen hinweisende Auffälligkeiten spüren. Das Opfer wird ständig ausgegrenzt, es wird laut in der Klasse, wenn es sich meldet oder an die Tafel geht. Derartige, zunächst kleine Hinweise treten vermehrt auf. Oft unternehmen die Verantwortlichen in der Schule nichts. Dieses gilt dann auch für Schulleitungen. Aus diesem Grund ist es sehr schwer für die Opfer zu wissen, bei wem melde ich mich und wer hilft mir?

Die Referentin berichtete von einem Fall, den sie positiv geklärt hatte, allerdings mit dem Ergebnis, dass der Täter sich ein neues Opfer gesucht hat. Sie kannte dieses Opfer sogar, konnte aber nichts machen, da dieses sich nicht öffnete, selbst bei einem Gespräch verschlossen blieb und schließlich die Schule wechselte. Das grausame Spielchen fing dann natürlich wieder von vorne an. Dabei hat der Täter meist Mittäter. Die Masse der Klasse hält sich offensichtlich raus. Dieses geschieht in den meisten Fällen aus Angst: „So lange andere Opfer sind, bleibe ich verschont!“

Ganz furchtbar war für mich die Vorstellung, dass man die Täter im ersten Ansatz mit Samthandschuhen anfassen muss, um zum Erfolg zu gelangen und dem Opfer wirksam helfen zu können. Bei einer direkten Konfrontation würde die Situation eskalieren.  Vertrauen aufbauen beim Opfer und den Eltern, innerhalb der Klasse Helfer/-innen finden (im Gruppengespräch) und so langsam die Situation mit dem Täter (durchaus auch Täterin) besprechen.

Ich bin mir sicher, dass an dem Abend ein Thema angerissen wurde, dessen Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen ist und das uns noch sehr lange beschäftigen wird. Für mich handelt es sich dabei allerdings auch um ein gesellschaftspolitisches Problem. Gerade im Fernsehen erleben wir Moderatoren, die ihre Gäste je nach Lust und Laune mobben (zB die Herren Raab und Bohlen) – und alle finden das lustig und amüsieren sich köstlich dabei!

Zusätzlich muss man mit dem Begriff „Mobbing“ richtig umgehen. Leicht redet mancher davon, dass er oder sie „gemobbt“ werde, und es entspricht nicht dem eigentlichen Mobbing. Das wirkliche Mobbing erfüllt ganz bestimmte Kriterien und treibt die Opfer über einen langen Zeitraum schließlich völlig in die Enge oder Ausgrenzung. Oft gibt es dann nur einen Ausweg: Schulwechsel oder gar Wechsel des Wohnortes.

Zu diesem Thema benötigen wir alle viel mehr objektive Aufklärung, Lehrer/-innen eine gezielte Ausbildung, um den Vorfall frühzeitig erkennen zu können und die richtigen Schritte in die Wege zu leiten. Dabei muss man ebenso sich im Klaren sein, dass die Eltern der Täter immer ihr Kind in Schutz nehmen werden und von Verleumdung reden. Die Verantwortlichen in den Schulen benötigen einen Plan B, um reagieren zu können (Adressen und Ansprechpartner, die wirksam und unauffällig helfen).

Ich habe mir den Vortrag angehört, weil ich zu dem Thema mehr wissen wollte. Ich schreibe es nun, weil es mir wichtig ist, Menschen dafür zu sensibilisieren. Man weiß heute, dass in jeder Schulklasse etwa jedes dritte Kind betroffen ist. Da können wir nicht wegsehen und so tun, als handle es sich um einen dummen Streich. Es kann im schlimmsten Fall der Vorläufer zum Amoklauf daraus werden.

Hans-Werner Kleindiek

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2 Antworten zu Mobbing – mehr als „hänseln“

  1. Es sind nicht nur Jugendliche Opfer von Cyber Mobbing, auch ich musste diese schmerzliche Erfahrung machen. Die Polizei sagt zwar es sei eine ernstzunehmende Straftat, aber wirklich machen können sie nichts. Allerdings ermittelt nun die Staatsanwaltschaft. Solange das Internet Menschen die Möglichkeit der Anonymität im Internet gibt, solange werden wir diesem Terror ausgesetzt sein. Allerdings besteht inzwischen die Möglichkeit über die ID die Anonymität auflösen zu lassen.

    Mit freundlichen Grüßen,
    Angélique Duvier

  2. Hans-Werner Kleindiek sagt:

    Moin, moin sehr geehrte Frau Duvier,

    vielen Dank für Ihre Rückmeldung – ich bin immer noch mehr als erstaunt, wie wenig das Thema zur Kenntnis genommen wird, und wie wenig unsere Bevölkerung das Thema ernst nimmt.

    Natürlich haben Sie sehr richtig bemerkt, dass das kein ausschließliches Thema der Kinder und Jugendlichen ist (Lehrer/-innen hatte ich ja bereits eingeschlossen), selbstverständlich kann jeder (gleich welcher Altersgruppe) betroffen sein und ist davor nicht gefeit. Es mutet schon sehr komisch an, meint man doch, als Erwachsener mit diesen Dingen nicht konfrontiert zu werden. Weit gefehlt, gerade im beruflichen Alltag kommt es immer wieder vor, und eben sehr stark beim Cyber Mobbing (wogegen sich wahrlich niemand schützen kann).

    Sehr richtig stellen Sie ebenfalls fest (und auch diesen Punkt habe ich versucht deutlich zu machen; doch leider stößt man auch hier meistens auf taube Ohren), dass die Polizei mit diesem Thema überfordert ist und man so gut wie nirgends eine wirkliche Hilfe angeboten bekommt. Eine Hilfe, die funktioniert und das Thema nicht noch verschärft; denn bei falschem Umgang kann es schnell eskalieren.

    Diese Umstände verschärfen die Problematik; denn die Opfer fühlen sich völlig allein gelassen und jedem ausgeliefert. Dieses nun wieder kann ich lediglich als Gefühl weitergeben, da ich zum Glück noch nicht betroffen war. Bei dem Vortrag wurde es deutlich; denn wie von mir geschildert, waren es keine Geschichten sondern tägliches Geschehen, es war Praxis im Schulalltag. Zudem waren unter den Zuhörern Betroffene, die die Aussagen unterstrichen haben.

    Es gibt heute gutes Material um aufzuklären. Das Thema muss nur umgesetzt und ausgebreitet werden. Es muss uns nicht lähmen und in Angst und Panik versetzen; doch wenn man hinreichend informiert ist, kann man manche Situation besser einschätzen und kann vielleicht helfen oder kennt jemanden der wirklich helfen kann.

    Letztlich bin ich immer wieder froh, wenn ich auf Menschen treffe, die gleichfalls die Anonymität des Internets als verwerflich und unmöglich empfinden. Genau dieser Punkt öffnet alle Möglichkeiten für Menschen mit kranken, perversen und kriminellen Neigungen (wobei man sicherlich auch dieses nicht verallgemeinern und pauschalieren darf).

    Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute, und hoffe, dass Sie diesem entsetzlichen Szenario bald entrinnen können.
    herzliche Grüße
    Hans-Werner Kleindiek

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