Neue Brille?

(Nicht nur) Werder Trainer Thomas Schaaf hat eine (neue) Brille bekommen. Das ist an sich nichts Berichtenswertes, denn dafür muss heute nicht mehr eine Veränderung der Sehstärke Ursache sein. Brillen sind längst keine prothetische Sehhilfe mehr, sondern nach dem „Kassengestell“ der 50er Jahre als modisches Accessoire seit langem zu einem lukrativen Geschäft für die Optikerbranche geworden. Niemand wird heute mehr als „Brillenschlange“ bezeichnet und gar mancher trägt inzwischen eine Brille, obwohl er gar nicht müsste.

Wer eine Brille trägt, muss sich auch nicht „unstylisch“ fühlen. Doch welche Form passt zu meinem Gesicht? Welche Farbe soll ich bloß wählen und was ist heute en vogue? Ob angesagte „Nerd-Brille“, extravagante „Cat-Eyes“ oder dezent rahmenlos – die neue Brillenmode ist so vielfältig wie selten. So eine Brille kann ein Gesicht, ja, gar den ganzen Menschen in seiner Wirkung völlig verändern.

Randlose Brillen werden zB gerne von echten oder vermeintlichen Intellektuellen getragen. Mutige Menschen tragen als Hingucker gerne farbige Brillen mit dickem Rand. Der eher Schüchterne trägt sie verspiegelt oder ganz dunkel. Je nach Brille kann ihr Träger, streng, cool, flippig, modern, altmodisch, vornehm, schlau oder auch schwul aussehen.

Die entscheidende Frage nun ist, ob eine solche neue Brille nicht nur auf andere wirkt, sondern auch selbstreferenzielle Auswirkungen auf ihren Träger hat? Die Antwort ist ja. Ebenso wie sich Menschen in unterschiedlichen Kleidern unterschiedlich verhalten (in Jogginghosen darf durchaus rennen, im Frack eher nicht), wirken auch Accessoires wie Brillen auf den Träger selber zurück: Wer sich zum Beispiel für eine randlose Intellektuellenbrille entscheidet, wird diese als Unterstützung seines Wirkungsanliegens und sein ganzes Gehabes nutzen – zum Beispiel schlau gucken oder noch schlauer daherreden. Und somit unterstützt eine neue Brille den Menschen unserer Zeit in dem weit verbreiteten Anliegen der Schein- und Seinentkopplung.

Auch Eugen Roth (1895–1975) war dies offenbar aufgefallen, als er dieses Gedicht verfasste:

Entwicklungskrankheiten

Die Frau, solang sie unvermählt,
Tut, was ihr gut steht – auch wenns quält.
Sie drängt das überflüssige Fett
Ganz unbarmherzig ins Korsett.
Halbblind, trägt sie doch niemals Brillen,
Ihr Bildungsdurst ist nicht zu stillen.
Sie zeigt sich sportlich oder fraulich
Just, wies dem Männchen scheint erbaulich.
Im Haushalt ist sie richtig tüchtig
Und sie ist gar nicht eifersüchtig.
Sie schwärmt dem Mann vor, wie sie künftig
Recht lieb sein wolle und vernünftig.
Jedoch, kaum ist vermählt sie glücklich,
Zeigt sie sich plötzlich rückentwicklich
Und ist, nach einem halben Jahr,
Schon wieder, wie sie immer war:
Halbblind, sieht sie bebrillt jetzt scharf,
Was sie will und was er nicht darf.

Zum Abschluss der Optikerwitz schlechthin:

„Schatz, mit der neuen Brille siehst Du total Scheiße aus!“
„Aber ich habe doch gar keine neue Brille!“
„Aber ich!“

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Eine Antwort zu Neue Brille?

  1. Hartmut Mensendiek sagt:

    Ich war Brillenträger von 1957 bis vor zwei Jahren. Eine Star-OP (ich hatte minus 9 Dioptrin) hat mich von dieser Last befreit, und ich benötige heute nur noch eine Lesebrille.

    Eine Brille – egal wie sie aussah – war immer ein Handicap bei allen Sportarten und auch im Beruf – so habe ich es empfunden.

    Und mein Gesichtsausdruck mit einer Auswahl verschiedener Brillen aus verschiedenen Modeepochen zeigt meine Brillenbegeisterung.
    Ich würde sagen – ich bin ein Brillenkunstwerk.
    Gruß!
    Hartmut

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