Psychologen untersuchen viel. Manches ist unsinnig, manches erhellend.
Nun haben Wissenschaftler der Universität Waterloo im Fachblatt „Current Directions in Psychological Science“ (Bd. 20, S. 360, 2011) einen interessanten Beitrag über „Soziale Systeme“ verfasst (siehe auch SZ vom 17.12.11: Seite 24).
Nehmen wir einmal an, es steht zu Weihnachten der Besuch bei der Familie des Partners an. Keiner der Beteiligten erwartet ein entspanntes Treffen, denn die Schwiegermutter besitzt das Talent, sensible Themen mit der Zurückhaltung einer Drückerkolonne anzusprechen und der Schwiegervater weiß grundsätzlich alles besser. Die Geschwister des Partners begegnen einander zudem mit Neid und Missgunst.
Alle Beteiligten sind sich dieser Umstände bewusst, und alle beschweren sich darüber. Doch wenn der Ehemann Kritik an den Schwiegereltern übt, löst das ein sofortiges Verteidigungsprogramm seiner Partnerin aus. Sie rechtfertigt nun die Macken ihrer Familie, über die sie sich vor wenigen Minuten selbst noch selber beschwert hat.
Wenden wir diese Erkenntnis auf einen größeren Bezugsrahmen an, dann ist es interessant zu wissen, welche Faktoren Menschen dazu veranlassen, soziale Systeme zu unterstützen oder gesellschaftliche Schieflagen zu rechtfertigen, die sie an sich kritisieren.
Als einen der stärksten Faktoren dafür identifizieren die Psychologen Bedrohung oder Kritik von außen. So wie ein Partner seine nervige Familie verteidigt, rücken die Bürger eines Landes zusammen, wenn sie eine externe Bedrohung wahrnehmen. So war es nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, so war es als der Hurrikan Katrina New Orleans verwüstete.
Dahinter steckt ein psychologisches Grundbedürfnis, sagen die Psychologen Kay und Friesen: Kritik anzunehmen bedeute, die Fehler eines Systems anzuerkennen. Nur wollen die meisten Menschen den Glauben nicht aufgeben, einem aufrechten sozialen Gefüge anzugehören.
Wer etwa vom Wohlwollen von Autoritätspersonen abhängig ist, wird diesen demnach besondere Zustimmung entgegenbringen. Ebenso verhält es sich, wenn Menschen das Gefühl haben, sie seien einer Situation hilflos ausgeliefert: Sind sie überzeugt, an ihrer katastrophalen Ehe oder dem verbrecherischen Verhalten eines Regimes sei nichts zu ändern, dann setzt dies ein Rechtfertigungsprogramm in Gang. Wer glaubt, wenig Kontrolle über sein Leben zu haben, der beginnt eben, sich mit dem Status quo zu arrangieren.
In diesem Sinne: Frohes Fest im Kreise der Familie!
Man will ja fast sagen…“traurig, aber wahr“.
Wir bekommen dies jetzt eben in Russland ganz deutlich zu sehen. Im Lande sind die Menschen mit der Situation unzufrieden. Versucht man aber von außen Kritik zu üben, bekommt man erzählt, wie viel die heutigen Herrschaften für das Land gemacht haben …