Wir leben im Zeitalter der Unabhängigkeit, des Individualismus und des “anything goes” – das alles verleiht dem modernen Menschen das Gefühl großer Freiheit. Er hat den Glauben an das Jenseits verloren und ist deshalb vom Diesseits besessen – das Ich muss hier uneingeschränkt glücklich sein, koste es, was es wolle!
„Steigern Sie Ihre Augenblicke, das Ganze ist nicht mehr zu retten.“ (Gottfried Benn)
Viele Menschen meinen pro Zeiteinheit mehr erleben zu müssen, um glücklich zu sein. Sie sind Opfer der ihnen selbst auferlegten ökonomischen Regeln. Wir seien “Ich-Optimierer”, schreibt Autorin Melanie Mühl – und unsere Kinder seien die Opfer dieser Selbst-Optimierung. Denn „Ich“ gehe inzwischen und weiter zunehmend vor „Wir“. Karriere und Geld seien vielen wichtiger als das Glück unserer Kinder – so wir denn überhaupt noch welche haben und nicht zu der wachsenden Gruppe der „DINK“ bzw. „SINK“ gehören.
„So ist es denn auch kein Wunder, dass sich der Simultant für seinen Blackberry, sein Notebook, sein iPhone und sein iPad mehr Zeit nimmt als für seine Freunde und Freundinnen, Ehefrau und Kinder zusammengenommen.“ (Karlheinz A. Geißler 2011)
Die Beziehung wird zur Ware. Wir beenden die Ehe oder die Partnerschaft, wenn sie nichts mehr „bringt“ – ohne Rücksicht auf Verluste – auch wenn es inzwischen erwiesen ist, dass Scheidungskinder selber beinahe doppelt so häufig geschieden werden wie Nicht-Scheidungskinder. Sie haben Probleme, Nähe aufzubauen und Menschen zu vertrauen. Sie wissen nicht, wie sich Familie anfühlt, sie haben es vielleicht nie richtig gespürt.
„Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt“, ließ Schiller seinen Tell sagen – das ist lange her. Und Freund Goethe lässt seinen Werther deklamieren: “Fehlen wir uns selbst – so fehlt uns doch alles“.