„Sapere aude“ war einst das Motto von Immanuel Kant – wage es, zu wissen.
Neulich konnte auf einer privaten Feier zwar niemand konkrete Zahlen, Daten oder Fakten über die sog. „Griechenlandkrise“ beibringen, trotzdem wurden beim Nachtisch „die Griechen“ stereotyp und kollektiv als „faul“ usw. als Gesamtvolk abgeurteilt.
Befremdlich ist schon, dass eben jenes Land und Volk, das die Deutschen jahrzehntelang hoch gehalten und als Touristen nur zu gerne besucht haben, jetzt plötzlich so in die Kritik gerät. Einst sang ein Udo Jürgens „Griechischer Wein …“ und Millionen von Deutschen sangen beseelt mit.
„Korruption“ lautet ein anderes Stichwort – haben wir vergessen, wie korrupt unsere Politiker und Wirtschaftsbosse sind? „Steuerhinterziehung“ lautet der nächste Vorwurf – wurden nicht gerade wieder prominente deutsche Wirtschaftsführer, auch aus illustren Unternehmen wie Siemens eben dieses Deliktes überführt? Auch beim Sparen und sich Einschränken verstehen die Deutschen historisch keinen Spaß. Soll einmal mehr am deutschen Wesen die Welt genesen?
Für eine profunde Diskussion hätten die Diskutanden u. a. Antworten auf die folgenden Fragen zwingend wissen müssen:
a) Wie viel Einwohner hat Griechenland?
b) Wie groß ist der Staatshaushalt?
c) Wie hoch sind die Schulden – absolut und relativ?
d) Wie groß ist Griechenland?
e) Wie viel exportiert Griechenland?
f) Wie viel importiert Griechenland?
Eine schnelle Recherche im Internet (mancher hatte ja ein iPhone dabei) hätte ergeben:
a) Griechenland hat ca. 11 Mio Einwohner – Deutschland 80 Mio (entspricht etwa Ba-Wü)
b) Das BIP beträgt 230 Mrd Dollar – Deutschland ca. 3.286 Mrd Dollar
c) Die Staatsverschuldung beträgt 340 Mrd. Euro – D. 2055 Mrd € (relativ: 1,5 zu D 0,6)
d) Fläche: 131.957 km2 – D. 357.111 km2 (G. ist etwa doppelt so groß wie Bayern)
e) 29 Mrd Dollar (2008) – davon 10% nach Deutschland (= ca. 3 Mrd)
f) 94 Mrd. Dollar (2008) – 13% aus Deutschland (= ca. 10 Mrd)
(Hier sieht man insgesamt gut, wer von Griechenlands Mitgliedschaft in der EU profitiert!)
Zu fragen wäre auch gewesen: Welche Banken gaben denn Griechenland die Kredite? Und: Warum muss der Steuerzahler jetzt für den Kreditausfall zahlen und warum tragen nicht die Banken das Risiko selber? Sind Staaten inzwischen Selbstbedienungsläden für Banken? Und ab wann lebt man „über“ seine Verhältnisse: Beim 0,6- oder 1,5-fachen der Staatsverschuldung? Oder vielleicht schon schein 0,253-fachen?
Doch weder waren den Diskutanden solche Informationen präsent, noch wurden die o. a. Fragen gestellt. Warum auch? Unser deutsches Volk soll sich dem gefälligen Urteil seiner Politikerkaste und gleichgeschalteten Medien unbedenklich anschließen.
Doch genau dies ist verantwortungslos und entspricht eindeutig BILD-Zeitungsniveau: Wenn vermeintlich gebildete Menschen ungeprüft nachplappern, was Massenmedien ihnen vorkauen, dann entstehen im schlimmsten Fall Vernichtungslager und Kriege. Doch mit so einer Replik hatte am Tische keiner gerechnet – und kam so früher als gedacht ins warme Bett.
Nachtrag 23. Februar 2013: EZB verdient halbe Milliarde an Griechlandkrise.
moin, moin Herr Heidtmann,
interessanter Text – nur, ich befürchte, Sie muten da unserem Volk zu viel zu.
Natürlich ist es heute sehr einfach sich zu informieren – Millionen googeln täglich durch die Internetlandschaft – nur, diese Recherche die Sie ansprechen ist da schon etwas mühsamer – wie Sie schon bemerken: das wird einem doch durch die „Blöd“-Zeitung wunderbar großzeilig und plakativ vorgekaut.
Aber mal im Ernst: Ich habe das an anderer Stelle schon einmal notiert – in den Medien – ob nun Radio – Fernsehen – Presse – Internet oder was immer Sie wollen – melden sich täglich hunderte von Spezialisten und sog. Fachleuten, Börsenspezialisten, Finanzmanager usw. zu Wort – gibt es endlose Interviews und Talkshows – und wenn man mal ganz genau hin hört, vertritt jeder vehement eine andere Meinung – überdies wage ich zu behaupten, dass selbst diese weltweit nicht mehr durch blicken –
hinzu kommen die ominösen Rating-Agenturen mit ihren dubiosen Meldungen – dabei wirtschaften sie nur in ihre eigenen Taschen und lachen sich kaputt.
Was soll „Otto-Normalverbraucher“ denn da noch tun? Wem soll er glauben? Da ist es doch sehr viel einfacher, das Vokabular der besagten Zeitung stumpf zu übernehmen (überdies gibt es ja auch noch andere Blätter der Billigpresse) – so kann er doch wenigsten auf Augenhöhe mit seinesgleichen mit reden.
Die Erkenntnis ist zwar sehr traurig, aber …
Wenn man mal die Ohren spitzt und genau zu hört, was so an Stammtischen und/oder Geburtstagsrunden usw. manche von sich geben und Meinungen vertreten, da wird einem Angst und bange – und muss sich z.B. um die steigende Zahl von Neonazis und Antisemiten (um nur ein Beispiel heraus zu greifen) nicht wundern – leider.
Herzliche Grüße
Hans-Werner Kleindiek
Man kann zB einfach „die Klappe“ halten, wenn man nichts weiß.
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ (Wittgenstein)
Oder sich informieren, das geht heute so leicht wie nie.
Nachplappern, obwohl man sich durchaus hätte informieren können, ist eine sehr bedenkliche Geisteshaltung!
Jetzt weiß ich warum die Mehrheit der Deutschen die Griechen raus aus dem Euro haben will, die stören nicht nur den GELDVERKEHR sondern auch den AUTOVERKEHR. Und das ohne diese wundervolle Demo drei Tage vorher bei den städtischen Ordnungsbehörden vorschriftsgemäß angemeldet zu haben – so geht’s nun wirklich nicht!
Auf geht’s mehr Unordnung in die Ordnung!
Hallo Herr Heidtmann,
Sie sagen, hier sieht man gut wer von der EU profitiert. Das soll wohl heißen, Deutschland ist der Profiteur, weil Deutschland mehr als 3x soviel nach Griechenland exportiert hat, wie es seinerseits von Griechenland importiert.
Stellen Sie sich einmal vor Herr Heidtmann, wir beide machen Geschäfte. Ich verkaufe Ihnen Waren und Dienstleistungen im Wert von 3.000,- Euro. Sie verkaufen mir Waren und Dienstleistungen im Wert von 10.000,- Euro,-. Um mir die Differenz von 7000,- Euro leisten zu können, geben Sie mir einen Kredit von 7000,- Euro. Wenn ich den Kredit jetzt nicht zurückzahlen kann, wer von uns beiden hat dann profitiert? Ziehen Sie selbst die Analogien zur Griechenland Krise. Bedenken Sie dabei die volkswirtschaftliche Grundregel: Leistungsbilanzdefizit=Nettokapitalimport sowie Leistungsbilanzüberschuß=Nettokapitalexport
Mit freundlichem Gruß Noel König
Herr König,
Sie wissen, dass Sie vereinfachen. Griechenland ist seit 1981 (Gründungs-) Mitglied der EU. Viel Zeit um in 30 Jahre Geschäfte zu machen. Das kann Ihnen mit Ihren „Kunden“ ja auch passieren, dass einer, der jahrelang solvent war, plötzlich schwächelt.
Und in unserem Staatssystem ist der Schadensfall doch klasse geregelt: Die Banken bekommen ihr Geld druch den Staat abgesichert (dovon können Sie nur träumen). Der druckt einfach frisches Geld. Die Inflation steigt ein wenig an. Der Bürger trägt wie immer die Kosten.
So what?
Sehr geehrter Herr Heidtmann,
nur zu Ihrer Information, unser Staat (Bundesbank) druckt momentan kein Geld mehr. Die Bundesbank ist zum Nettoschuldner des Bankensystems geworden. Geld wird momentan fast ausschließlich in den GIIPS Staaten „gedruckt“. Die Bundesbank bekommt dafür eine Ausgleichsforderung gegen die EZB (Target Kredite). Das sind öffentliche Kredite, welche niedrig verzinst werden und von der Bundesbank nicht fällig gestellt werden können. Die Target Kredite belaufen sich momentan auf ca. 500 Mrd Euro. Diese Forderungen können wir praktisch abschreiben, somit haben wir unser Sozialprodukt, welches die GIIPS Länder damit kaufen konnten, praktisch verschenkt. Ich habe nichts gegen die Griechen. Meiner Meinung nach können sie aber im Euro nicht mehr wettbewerbsfähig werden. Dazu müßten ihre Löhne, Güterpreise
und Preise für Vermögensobjekte um ca. 40% fallen. Eine interne Abwertung in diesem Umfang ist praktisch unmöglich. Griechenland hat nur eine Chance außerhalb des Euro wieder wettbewerbsfähig zu werden. Liebe Grüße Noel König
Lieber Herr König,
danke für die ausführliche Diskussion!
Das hat doch auch eine ganz andere „Qualität“ als diese Stammtischparolen!
Ich halte fest, dass wir uns in dem Punkte einig sind, dass es nicht angehen kann, dass Banken ihre Gewinne in (spekulative) Geschäfte privatisieren und ihre Verluste sozialisieren.
LG KHH