Haben Sie sich auch schon mal darüber geärgert? Bei Feierlichkeiten wie Taufe, Konfirmation, Hochzeit oder anderen Festlichkeiten, ebenso wie bei Vorträgen oder Konzerten toben Kinder munter durch Kirche, Saal oder Veranstaltungsraum und stören Vortragende wie Zuhörer gleichermaßen.
Ist Papa ante portas? Nein, Vater und Mutter sitzen in den Bänken; die Randale ihrer Kinder scheint sie nicht zu stören. Im Gegenteil, sie freuen sich offenbar über die lebendige Darbietung ihrer Kinder, die sie vermutlich bereits mit drei Lebensjahren zum „Video-Clip-Dancing“ bei Nadine Reiners in Syke schicken.
So geschehen und gesehen beim diesjährigen Adventskonzert in der Leester Marienkirche.
Kinder spielen „Kriegen“ in den Gängen und auf der Balustrade, während sich 25 Musiker viel Mühe geben, eine volle Kirche zu unterhalten. Eine Konzentration auf die musikalische Darbietung ist nicht möglich. Einige Zuhörer versuchen, die durch die Kirche rennenden Kinder zu reglementieren – zwecklos, sie rennen einfach auf der anderen Seite weiter.
Der anwesenden Pastor sitzt das offenbar stoisch auf den hinteren Bänken aus, obwohl er innerlich zu kochen scheint. Vielleicht hat er den weihnachtlichen Spruch „Ihr Kinderlein kommet“ nur falsch interpretiert? Oder sinniert er gerade über Mk 10,15 nach? Oder regiert auch bei ihm die „Quote“? Doch bei aller notwendigen Erneuerung und Modernisierung, die Kirche ist weiterhin keine Turnhalle.
Wir haben es hier insgesamt mit einer falsch verstandenen Liberalität zu tun. Nach Hunderten von Jahren übertriebener Strenge und Unterdrückung erleben wir in der Kindererziehung nun das krasse Gegenteil.
„Aufmerksamkeitsdefizit“ kann in seiner zweiten Bedeutung auch darauf hinweisen, das Kinder nicht genug Aufmerksamkeit bekommen – denn wer rumkapsert, verlangt nach Publikum. Keinesfalls sollte man deshalb die Kinder zur Rechenschaft ziehen – die Eltern tragen die alleinige Verantwortung. Doch inzwischen weiß die Forschung, dass das Krankheitsbild der Informationsüberflutung als „cognitive overflow syndrom“ – COS auch bei Erwachsenen auftritt.
Zudem ist das nicht reglementierte Verhalten der Kinder auch eine Frage des Respekts den anderen Teilnehmern gegenüber. Diese Form von Rücksichtslosigkeit entspricht offenbar dem Zeitgeist: Die Aufzählung der Personalpronomen hört bei vielen Menschen offenbar nach „ich“ auf.
Es muss möglich sein, (m)einem Kind klarzumachen, dass es an bestimmten Orten ein bestimmtes Verhalten gibt. Und wichtiger noch, dass jeder das Recht hat, seine Gedanken, seinen Vortrag usw. zu Ende vortragen zu dürfen und dass man zuhört und nicht stört.
Wir wundern uns daher auch nicht, dass sich Lehrer in den Schulen zunehmend überfordert fühlen. Lassen Sie es uns deshalb einmal deutlich sagen: Die Verantwortung für die Erziehung der eigenen Kinder kann von den Eltern nicht grundsätzlich an andere delegiert werden.
An der Kirchentür steht ein Hinweis: „Bitte nicht essen und trinken in der Kirche“ (was an sich auch einen Beitrag wert wäre). Er sollte vielleicht ersetzt werden durch ein Schild: „Kinder sind herzlich willkommen – sofern sie die Andacht und Ruhe nicht stören“. Auf jeden Fall wäre das Thema mE einen Beitrag im monatlichen „Gemeindebrief“ wert.
Moin, moin Herr Heidtmann,
ja, das ist für mich eine sehr bekannte und „alte“ Geschichte – über diese oder ähnliche Vorfälle ärgere ich mich seit Jahren. Wissen Sie, ich verstehe nicht, warum alle Welt vom „burn out“ spricht? Ich erlebe immer und immer wieder, dass die jüngeren Generationen Nerven wie Drahtseile haben: Die sehen sich derartige Spielchen ganz locker an, als wenn es sie überhaupt nichts angeht, die Kinder
turnen rund um die Altar herum, – schmeißen die halben Kerzenleuchter um, da wird ein Wettrennen durch die Kirche veranstaltet und … man darf noch nicht einmal etwas sagen oder sich gar umdrehen und die Stirn runzeln! Wer wird denn die jungen Eltern und Kinder aus der Kirche vertreiben wollen?
Nur, dass ist ja nun nicht nur in der Kirche so: Sehen Sie sich das Theater im Supermarkt an oder wo immer Sie wollen, wenn die Gören ihren Willen nicht bekommen, dann geht da richtig die Post ab und sie bekommen ihren Willen und lachen sich innerlich kaputt (gleich welchen Alters).
Ja, ich stimme Ihnen da mal wieder 100%ig zu. Aber: Wir sind ja auch die „Alten Spießer“ – die „ewig Gestrigen“.
Ich verstehe nicht, warum es immer nur extrem zu gehen kann: Meine Generation wurde misshandelt und geschlagen, dass es eine wahre Freude war, und jeder durfte sich darüber auslassen. Und dann kommt die Phase der Weicheier: Alles ist erlaubt, völliges Chaos. Doch Kinder brauchen Ordnungen, Strukturen, Richtschnuren, sie müssen wissen, wo der Weg lang geht. Sie probieren dann sowieso aus, wie weit sie gehen können; doch sie bekommen die Grenzen ihres Handelns aufgezeigt.
Und sieht es etwa in der Schule anders aus? Sehen sich doch einmal manche Lehrer/innen an und erleben Sie den Unterricht und das Arbeitsverhalten und die Arbeitsauffassung. Warum schafft es die Menschheit nicht, einen einfachen schönen Mittelweg zu finden und zu leben?
Und es sind ja nicht nur die „Kleinen“ oder jungen Kinder. Ich erinnere mich an eine Veranstaltung am Berufskolleg, Abschluss eines Jahrganges, ich habe die Abschlussrede gehalten. Alles junge Menschen, die gut einen Monat später eine Ausbildung oder etwas weiter ein Studium beginnen wollten, alle Abitur oder Fachabitur. Es war das reinste Chaos und man drang mit seinen Worten kaum durch. Zwischendurch gab es noch Musik von einigen Schülerinnen, sie haben abgebrochen, weil sowieso niemand etwas mit bekommen hat – sehr peinlich! Und es waren Eltern und natürlich das ganze Lehrerkollegium anwesend. Ich habe gedacht ich träume schlecht!
Ich kann mir gut vorstellen, was Sie da für eine Abend erlebt haben – schade!
Hans-Werner Kleindiek
Ich verstehe nicht ganz, was das nun mit Aufmerksamkeit bzw Aufmerksamkeitsdefizit zu tun hat. Man könnte darüber sinnieren, ob man Kindern nun ein Kirchenkonzert zumuten muss. Oder ob die Gemeinde zeitgleich einen Kindergottesdienst oder Kinderbetreuung anbieten sollte.
Häufig beklagen sich dann aber eben Leute, die selber keine Kinder haben. In früheren Gesellschaften hätte man sehr wohl mehr Aufmerksamkeit für Kinder und sie ganz natürlich in Aufgaben und Pflichten eingebunden. Ich finde auch, dass man bei einem besinnlichen Konzert von dem Geschrei von Gören in Ruhe gelassen werden sollte. Das kommt sehr auf die Ankündigung drauf an. Wenn ich in einen Martini-Gottesdienst für Kinder gehe, habe ich nichts dagegen, wenn die Kinder umherlaufen. Bei einem Bach-Oratorium würde es mich stören. Taufe, Konfirmation und Hochzeiten gehören eindeutig zu den Bereichen, bei denen Kindern nicht stören.
Wenn sie Kinder stören, so sollten sie eher mehr Aufmerksamkeit hinsichtlich ihrer eigenen Kindheit bzw. auch Beziehung zu ihren Kindern schenken. Und nicht rumjammern über andere Eltern, sondern eben etwas für eine kindgerechte Gesellschaft tun. Engagieren sie sich in der Gemeinde und setzen sie sich für Angebote für Eltern und Kindern ein.
Mit dem Argument habe ich natürlich gerechnet: Also, drei Kinder haben wir groß gezogen und mit Ihnen viele kulturelle Veranstaltungen usw. besucht. Natürlich haben auch unsere Kinder Ansätze gezeigt, zu „stören“. Wenn wir sie nicht vor Ort „beruhigen“ konnten, haben wir gemeinsam die Veranstaltung verlassen – eben um die anderen Menschen nicht zu stören.
Ihre Schreibweise des „sie/Sie“ erschwert etwas das Verständnis. Vermutlich meinen Sie „Sie“?
Und noch etwas: Ihre insiuierende Generalisierung , dass mich Kinder stören, ist weder rhetorisch noch sachlich in Ordnung. Vielleicht, weil Ihnen der verwendete Begriff „Respekt“ nichts sagt, Herr Webpsychiater?
moin, moin lieber Herr webpsychiater,
entschuldigen Sie bitte, aber die Erklärungen gehen ja nun wirklich über weite Strecken am Thema vorbei –
ich fühle mich da natürlich mit angesprochen; denn meine Reaktion war in den meisten Punkt ähnlich der des Herrn Heidtmann –
nur zur Klärung: meine Frau und ich haben 3 Kinder groß gezogen – es waren ganz normale Kinder mit allen Höhen und Tiefen und sicher nicht immer einfach – das wäre für mich auch unnormal – nur wussten sie schon sehr bald ganz genau wie man sich wo aufzuführen hat – wenn es dann gar nicht ging, dann haben wir den Ort eben verlassen und drüber gesprochen – die Geschichte hat schließlich auch sehr viel mit Respekt dem Anderen gegenüber zu tun – wenn ich möchte, dass man mir zuhört, dann erwarte ich das auch von Anderen (nur hiermit haben manche ein Problem – auch Erwachsene – siehe Politik und Talk-Shows) –
zusätzlich arbeite ich seit fast 30 Jahren ehrenamtlich an einer Hauptschule und war 20 Jahre lang Mitglied des Presbyteriums der evangelischen Kirchengemeinde im Stadtteil – unsere Jungs waren allesamt Pfadfinder und über Jahre auch Leiter – Kinder und Jugend ging bei uns immer ein und aus –
schließlich ist einer unserer Jungs Erzieher im Kindergarten – das Verhalten von manchen Eltern ist mir sehr vertraut (und das hat weder was mit dem finanziellen Status, der Bildung, Rasse, Hautfarbe oder was immer Sie wollen – zu tun, nur um das vorher klar zu stellen und keine neuen Diskussionen anzustoßen) –
so gesehen ist Ihre Argumentation für mich schon ziemlich befremdlich – überdies sollen doch Kinder an klassische Musik, Konzerte, Museen u.v.a.m. herangeführt werden – wo ist also das Problem???? – nicht sie fernhalten; jedoch das Thema Respekt und Würdigung der Vortragenden gegenüber ist doch wohl angesagt –
natürlich hätte es von einem gewissen Weitblick gezeugt, wenn die Kirchengemeinde parallel etwas für Kinder angeboten hätte – war nun nicht – natürlich haben Sie vollkommen recht mit dem Hinweis auf Taufe oder Hochzeit (auch der Familiengottesdienst – wo es immer turbulenter zugeht – nur, das weiß ich, und wenn es mich stört, dann gehe ich nicht hin – ansonsten habe ich mich nicht zu beschweren); doch das war weder das Thema noch stand es zur Diskussion –
so gesehen ist für mich die Kritik und Fragestellung berechtigt, sprechen Sie mit Fachleuten aus der Erziehung – Kinder und Jugendliche wünschen sich eine Ordnung – sie versuchen dann sowieso noch Lücken zu finden; aber sie wissen zumindest, in welchem Rahmen sie sich bewegen.
Hans-Werner Kleindiek
Lieber Herr Kleindiek,
danke für Ihren argumentativen Beistand, aber Sie sollten eines nicht tun, sich gegenüber anonymen Personen hier rechtfertigen! Das Internet ist voll von solchen Trollen, die davon leben, auch mal ihren anonymen Senf dazu gegeben haben, aber letztlich zu feige sind, sich namentlich zu outen – weswegen ich auch länger gezögert habe, den Kommentar zu veröffentlichen.
Ich habe ein wenig recherchiert. Es gibt mehrere „Webpsychiater“ im Internet. Manche sind wohl tatsächlich Ärzte. Aber die haben nicht die Billigdomainendung „gmail.com“. Die Tatsache, dass der Kollege als URL eine Seite über ADHS angibt, muss auch nicht heißen, dass das seine Seite ist.
Und überlegen Sie doch mal, was man von jemandem halten soll, der sich selber eine solch peinliche eMail-Adresse gibt? Das ist unseriös und mE schon therapierwürdig an sich …
Also abhaken.
Guten Morgen Herr Heidtmann,
was das von Ihnen beschriebene Phänomen angeht, so beobachte ich ebenfalls schon lange dasselbe. Was mich persönlich immer verwundert ist die Diskrepanz zwischen: Extremer Liberalität wenn es um Benimm und Sozialverhalten geht — und extremer Restriktivität wenn es um mutmaßlich „gefährliche“ körperliche Aktivität geht. Kaum schickt sich der Sprössling an, einen harmlos hohen Baum zu ersteigen, so schallt es schon: „Finn-Luca, komm da runter, das ist zu gefährlich!“ Aus irgend einem Grunde, der sich mir nicht erschließt, haben sich (fast) alle jüngeren Eltern dazu verschworen, eine Generation von Prinzen und Prinzessinnen heranzuziehen. Ob das daran liegt, dass die meisten Kinder heute wohl Einzelkinder sind?
Nachdenklichst,
TA
Guten Morgen, Herr Aquinas,
danke für Ihre differenzierten Betrachtungen! Gefällt mir besser, als kommentarlich in die Ecke der Kinderfeinde gestellte zu werden. Einzelkinddasein KANN mE möglicherweise zu so einem Phänomen führen, ist mathematisch „hinreichend“ aber nicht „notwendig“. Ich glaube vielmehr, dass es an der zitierten und zeitgeistigen „Ich-Optimierung“ liegt.
Generell erleben wir evolutionär ja oft eine „Hysterese“, bei der zB nach Phasen starker Unterdrückung eine Phase starker Ausschweifung folgt – oder vice versa. Demnach wäre die jetzige „laisser-faire“ Kindererziehung vielleicht eine Reaktion auf die Strenge der 50er Jahre?
LG KH
Ich teile die Beobachtung, nicht aber die Überschrift.
AD(H)S-Kinder sind mitnichten immer unerzogen und auch nicht immer im Verhalten impulsiv und ungestüm. Es gibt auch sehr oft die ganz ruhige, träumerische Sorte.
Vor allem kann man das Verhalten von hypermotorischen ADHS-Kindern mit wenig Übung sehr gut von schlecht erzogenem Verhalten unterscheiden: Die Kinder, die an AD(H)S leiden, leiden nämlich sichtlich selber unter ihrem Verhalten. Sie *wollen* ruhig sein, *können* es aber nicht – und das sieht man. Diesen Kindern geht es in Ruhe in etwa so wie vermutlich ihnen, wenn sie drei Kannen Kaffee trinken und zusätzlich gut Stress im Büro haben: Sie hibbeln und wippen einfach und finden das unangenehm. Ungefähr 2 bis 3 Prozent der Kinder sind so hypermotorisch veranlagt, genauso viele sind trotz AD(H)S extrem ruhig und „lieb“ – also hypomotorisch.
Umgekehrt bei den häufigeren schlecht erzogenen Kindern. Die *können* sich nämlich benehmen, *wollen* es aber nicht, meist um Aufmerksamkeit zu bekommen. Der Unterschied fällt sofort auf, wenn man ein bisschen beobachtet.
Man kann mit den ADHS – Kindern wunderbar klarkommen, nicht aber mit den schlicht unerzogenen – zumindest mir sind die AD(H)S-Kinder lieber. Und vor allem taugt ADHS nicht als Entschuldigung für die Eltern – die sollten ihre Kinder nämlich kennen oder schleunigst kennenlernen.
Also: Inhalt richtig beobachtet – Überschrift außerordentlich ärgerlich.
Danke für Ihren differenzierten Beitrag!
Ihre Kritik nehme ich selbstverständlich an und gebe zu, den Begriff sowohl „provokativ“ als auch modal verwendet zu haben. Mir ging es dabei um das Aufmerksamkeitsdefizit in doppelter Hinsicht: Zum einen heischen Kinder (wie alle Menschen) nach Aufmerksamkeit (und sei sie auch negativ) und zum anderen leiden manche Eltern offenbar auch darunter, sonst würden sie bemerken, dass ihre Kinder andere erheblich stören.
Übrigens habe ich den Titel bewusst mit einem Fragezeichen versehen – ist Ihnen vielleicht nur nicht aufgefallen.