Alte Kameraden – Klassentreffen einst und heute

Warum nur sind Klassentreffen (und Schulportale wie „stayfriends“) so beliebt? Die Psychologie gibt uns als Antwort, dass wir uns bei solchen Gelegenheiten in den Anderen spiegeln können: Wer hat sich wie entwickelt? Wer hatte Glück? Wer hatte Unglück? Wie stehe ich selber da?

Die innere Struktur von Familie und einer Schulklasse sind ähnlich. Im Gegensatz zu den eigenen Geschwistern teilt man mit den Klassenkameraden zudem noch das gleiche Lebensalter. Die Bindung und Vertrautheit durch die jahrelange „Zwangsgemeinschaft“ ist auch nach Jahrzehnten teilweise stark.

Doch vor der Frage „Und, was machst Du so?“ fürchtet sich mancher so sehr, dass er Klassentreffen meidet. „Mein Haus, mein Boot, meine Frau!“, darauf lief auch unser erstes Klassentreffen bereits nach zehn Jahren hinaus. Peter krähte, dass er als Versicherungsmitarbeiter der Allianz bereits zehn Leute „unter sich“ hätte.

Stefan versuchte uns mit seiner steilen Karriere bei der Bundeswehr zu beeindrucken, wir anderen Gedienten konnten ihn uns als Schleifer nur all zu gut vorstellen. Eine große Klappe hatte er schon, als er in der 9. Klasse als Sitzenbleiber zu uns stieß. Natürlich bot er unserem anwesenden Klassenlehrer von sich aus nun das „Du“ an. Fehlte nur noch, dass er Brüderschaft mit ihm getrunken hätte.

Jutta hatte ausrichten lassen, dass sie inzwischen in „anderen Kreisen“ verkehre und kein Interesse an einem Wiedersehen habe. Vermutlich hatte sie nur Angst vor der Konfrontation mit ihren mäßigen Leistungen und Schulnoten. Aber immerhin, reich geheiratet!

Werner war Sportlehrer geworden, eine erstaunliche Karriere für jemanden, der als einer der unsportlichsten Schüler in der ganzen Klasse galt.

Gisela hatte zwar fast immer eine eins in Deutsch, aber nur, weil die unserem Deutschlehrer nach dem Schnabel schrieb. Ich erinnere mich noch an ihre Abschlussrede über „Metaphysik“ – ich habe das damals mit 15 Jahren definitiv nicht verstanden. Sie hat dann einen österreichischen Hotelier geheiratet und ward nimmer gesehen. Das ist wahre Metaphysik!

Beim 25-jährigen Klassentreffen hatte die immer noch sehr ansehnliche und sportive Rita bereits zwei Ehen hinter sich.

Gregor beharrt darauf, dass er amtlich als schizophren gelte und berufsunfähig sei.

Heinz hat viele Jahre nach seiner kaufmännischen Lehre doch noch Lehramt studiert und ist einer der wenigen engagierten und vorbildlichen Geographie- und Deutschlehrer in diesem unserem Lande geworden – ich freue mich sehr für ihn und seine Schüler.

Beim vierzigsten Klassentreffen gedachten wir der Toten, trösteten die Invaliden und beneideten die fitten Überlebenden.

Michael hat zwei Herzinfarkte überlebt.

Werner hat den Stress an der Schule nicht mehr ausgehalten und meditiert nun leicht vorgealtert im eignen Zen-Garten. Alle Lehrer haben übrigens Tinnitus.

Julia hat leichte MS und ist frühverrentet.

Willi war schon einmal kurz tot und hat jetzt eine künstliche Herzklappe.

Die meisten sind bereits in Altersteilzeit oder im (Vor-) Ruhestand.

Einige waren nicht mehr aufzutreiben, beim besten Willen nicht. Verschollen, verschüttet, vergessen.

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