Da fahren wir mal hin – Lambertskreuz

Der Wanderweg war lang, steil und staubig, die Sonne brannte gnadenlos. Wer Kontemplation oder Erleuchtung will, muss in allen Kulturen meist Berge hinaufsteigen.

Zum Glück gibt es im Pfälzer Wald an den schönsten und höchsten Stellen immer eine vom „Pfälzer Waldverein (PWV)“ bewirtete Hütte. Er hatte diese Wanderung geplant, mit Kartenmaterial im Maßstab 1:25.000. Und wahrscheinlich hatte sie ihn den ganzen Weg lang genervt: Zu lang, zu steil, zu staubig, zu heiß – gar mit Umkehr gedroht! Dabei hatte er sich so auf diesen Ausflug gefreut. Und dann das stundenlange Gezeter auf dem gesamten Weg! Die Vorstellung von etwas ist eben oft besser als die Realität.

Endlich haben beide es geschafft: Ein herrlich gelegenes Örtchen mit vielen Bierzeltgarnituren draußen unter lauschigen Bäumen, gut gelaunten Menschen und Aussicht auf deftiges Pfälzer Essen. Sogar eine fünfköpfige Musikantentruppe unterhält die Gäste und lädt zum Mitsingen und Mitschunkeln ein. Weinselige Stimmung auf allen Bänken.

Doch draußen sind die Schattenplätze alle belegt. Und sie will auf keinen Fall in der Sonne sitzen! Beide gehen deshalb in den großen, menschenleeren Schankraum. Zwar wäre er lieber draußen bei der Musik, doch hier drinnen ist es herrlich kühl für seine erschöpfte Frau – und man hat freie Platzwahl.

Der Mann legt die Wandersachen erleichtert ab, geht und besorgt an der Abholtheke sofort etwas zu essen und zu trinken. Man sieht ihm an, wie froh er ist, dass beide nun doch hier oben am Lambertskreuz angekommen sind. Man ahnt, wie seine Kehle nach dem kühlen Kelche lechzst. Man spürt, dass er nun auf Vergebung und erneute Harmonie hofft.

Doch einmal mehr hat er die Rechnung ohne seine nimmer zufriedene Gattin gemacht. Irgendetwas ist nicht nach ihrem Gusto. Etwas fehlt oder ist wieder einmal falsch. Er ist konsterniert. Doch steht er ebenso gehorsam auf und begibt sich erneut auf den Weg zur Theke. Und draußen spielt die Musik – aber „Mine fro de Ilsebill, de will nich so als ik wohl will!“

Doch just, als er direkt hinter seiner Frau entlang geht und sie ihn nicht sehen kann, regt sich in ihm das letzte Quäntchen Widerstand; das gepeinigte Ego bäumt sich kurz in ihm auf – und er macht jene allessagende Mimik, wie wir sie aus dem Tierreich kennen: Er imitiert mit zurückgezogener Unter- und vorgeschobener Oberlippe sowie klappenden Kieferbewegungen ein raffelndes Nagetier! Das muss wohl jene Form des „Ästhetik des Widerstands“ gewesen sein, von der Peter Weiss einst schrieb!

Die Frau hat es nicht gesehen. Doch der Z(w)eitgeist sehr wohl – und dediziert dem vermutlich seit Jahrzehnten gebeutelten und gequälten Manne spontanen Szenenapplaus und laute Bravorufe. Beides hallt lange noch im leeren Saale nach.

Die eigene Frau kann auf verständnisheischende Nachfrage der Schwiegermutter nur den Kopf über solch unvernünftiges Tun des eigenen Mannes schütteln. Doch so viel Solidarität unter Männern muss sein!

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