Nur ein Protokollfehler?

Nachdem wegen ungebührlichen Umgangs mit der Wahrheit unrühmlichem Abgang des in den Medien auch als „Lügenbaron“ bezeichneten Karl Theodor zu Guttenberg ist der eine oder andere deutsche Politiker offenbar vorsichtiger geworden mit der Wahrheit – oder zumindest doch in seinem Sprachgebrauch.

Am 14. März hatte Minister Brüderle als Gast an einer Sitzung von Vorstand und Präsidium des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) teilgenommen. Laut Sitzungsprotokoll bestätigte Brüderle das Atom-Moratorium und „wies erläuternd darauf hin, dass angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen Druck auf der Politik laste und die Entscheidungen daher nicht immer rational seien“. (SZ 24. März 2011)

Als Minister Brüderle ca. eine Woche nach diesem Termin das Protokoll las und das o.a. Zitat entdeckt, war ihm offensichtlich sofort bewusst, dass eine solche veröffentlichte Meinung mehr als unglücklich angesichts anstehender Landtagswahlen ist.

Flugs wurde dementiert. Doch geschickt, wie nur ein Schwabe sein kann, behauptete Minister Brüderle jetzt nicht etwa, das nicht gesagt zu haben – nein, er sprach von einem „Protokollfehler“. Der unbedarfte Leser solcher Aussagen wird assoziieren, dass sich im Protokoll ein Fehler eingeschlichen habe. Doch das hat Brüderle expressis verbis nicht gesagt.

Und so wurde möglicherweise eine neue semantische Bedeutung des Wortes „Protokollfehler“ kreiert, das Minister Brüderle und der BDI verwendeten, um die Wogen in Sachen seiner Aussage beim BDI zum neuen Atomenergiekurs der schwarz-gelben Regierung wieder zu glätten.

Das Wort „Protokollfehler“ kennen viele aus der Datenverarbeitung. Andere kennen es aus der Welt der Diplomatie. Doch beides entspricht nicht dem „Protokollfehler“ des Herrn Brüdere. Die deutsche Sprache ist semantisch oftmals ambig: Ein „Protokollfehler“ kann nämlich auch bedeuten, dass das „Prozedere“ bei der Erstellung und Verteilung des Protokolls nicht hinreichend beachtet wurde. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Werner Schnappauf, hätte das Protokoll nach Brüderle Vorstellungen offenbar so auf keinen Fall verschicken dürfen!

Und so verabschiedet sich denn auch Herr Schnappauf, indem er die Verantwortung für die Folgen einer „Indiskretion“ (sic!) übernimmt und auch sogleich zurücktritt – mit 58 Lebensjahren sicher ein gut dotierter Schicksalsschlag.

Für SPD-Chef Sigmar Gabriel ist das ein gefundenes Rhetorik-Fressen: Früher sei jemand rausgeflogen, wenn er ein Protokoll gefälscht habe, heute flöge er schon, wenn er richtig mitgeschrieben habe, wird Gabriel zitiert. Früher mussten Politiker Angst davor haben, wenn sie beim Lügen erwischt wurden. Heute, wenn sie bei der Wahrheit ertappt würden, so Gabriel weiter in der SZ vom 25. März 2011.

In der Tat, auch KTzG hat im Zusammenhang mit dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan mehrere Generale in den Vorruhestand geschickt, weil sie angeblich (nicht) die Wahrheit gesagt hatten, bevor er dann selber von der Öffentlichkeit in den Ruhestand gezwungen wurde.

Merke: Das Protokoll HAT keinen Fehler, das Protokoll IST der Fehler!

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