In memoriam – Catherine Heidtmann

 

Foto: Alfred Heidtmann

Meine Großmutter väterlicherseits starb heute vor 50 Jahren am 9. Februar 1961.

Am 4. April 1886 erblickte Catherine (später auch Katherine oder Catherina geschrieben – in Sagehorn nannte man sie einfach „(Tante) Trina“) Heidtmann, geborene Harling, das Licht der Welt.

Sie hatte es nicht leicht im Leben. Ihr erstes Kind – wir haben leider keine Information über Name oder Geschlecht – aus erster Ehe starb mit wenigen Monaten, als es sich bei einem anderen Kind mit Keuchhusten ansteckte. Ihr erster Mann starb an „Schwindsucht“. Da die Sozialversicherung Anfang des 20. Jahrhundert noch wenig ausgeprägt war, war meine Großmutter  gezwungen, ihren Lebensunterhalt danach selber als Wäscherin usw. zu verdienen.

Ihr zweites Kind aus dieser ersten Ehe, Heinrich von Horn, geboren am 24. April 1910, musste sie daher zur Adoption an den Bruder ihres Mannes freigeben, weil sich Arbeit und Kindererziehung als alleinstehende Frau damals nicht unter einen Hut bringen ließen. Ihr Schmerz darüber war groß, zumal sie sich hatte verpflichten müssen, das Kind niemals wissen zu lassen, dass sie seine leibliche Mutter war.

Im Sommer 1914 heiratete sie den Witwer und Maurer Friedrich Wilhelm Christoph Richter, der eine geistig leicht behinderte Tochter, Johanne, mit in die Ehe brachte. Ob es eine „Liebesheirat“ war? Wir wissen es nicht. Doch wenig später starb auch dieser zweite Ehemann am 3. September 1917 als Soldat bei einem Ort namens Kammettka in diesem wahnsinnigen 1. Weltkrieg. Immerhin erbte meine Großmutter nun das Haus, das ihr zweiter Mann selber gebaut hatte, auch wenn dieses noch mit hohen Hypotheken belastet war. Um diese zu tilgen, vermietete sie Zimmer an Logiegäste.

Um 1919 herum wurde an der Eisenbahnlinie für den Güterverkehr von Sagehorn nach Kirchwehyhe gebaut, an auch der aus Scheeßel in der Nordmark stammende Heinrich Heidtmann als ihr Logiegast mitwirkte. Er wurde am 5. Juni 1919 ihr dritter Mann. Ob es eine Liebesheirat war? Wir wissen einmal mehr nicht. Am 2. März 1920 wurde nach exakt neun Monaten mein Vater Alfred Karl Heidtmann geboren. Immerhin war meine Großmutter nun fast 41 Jahre für ihren Sohn da. Ich glaube, beide haben das sehr genossen. Doch was müssen das für angstvolle Jahre gewesen sein, als der große Diktator ihren Sohn zum Kriegsdienst zwang? Er hätte sterben können. Täglich. Wie die meisten Soldaten.

Zusammen haben meine Großeltern das Grundstück Nr. 79 mit Haus gekauft, das vor ihnen Harms (das war eigentlich auch ein Vorname) von „Schioks“ gekauft und bebaut hatten und wieder verkauften, als der Sohn im ersten Weltkrieg fiel. Vorher hat das gesamte Flurstück hinter dem Mühlengraben den „Bomanns“ gehört, also auch das neben unserem liegende von Nordloh und das von Hohgrefe und eben jenen „Schioks“, denen auch heute noch das Land hinter unserem Grundstück gehört.

Catherine Heidtmann war gewiss nicht reich an irdischen Gütern. Doch es ist im Ort bekannt, dass die von dem Wenigen, das sie besaß, stets anderen gegeben hat. Ihr Motto lautete, dass aus Händen, aus denen nichts herauskommt auch nichts hineinkommt – eine sehr redliche frühe Wirtschaftstheorie, die vor ihr nur Goethe schöner formuliert hat!

Durch den landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb, den sie im Schweiße ihres Angesichts mit ihrem Mann, der tagsüber „Eisenbahner“ war,  betrieb, gab es immer genug zu essen. Die zwei Kühe lieferten frische Milch, aus der sie Butter, Buttermilch, Dickmilch und Weißkäse machte. Jedes Jahr wurden ein oder zwei Schweine geschlachtet (die anderen der meist fünf oder sechs Schweine wurde gewinnbringend verkauft), so dass es immer auch selbstgeräucherten Schinken, Mettwurst sowie eingemachte Leberwurst, Bregenwurst usw. gab.

Der Gemüsegarten versorgte die ganze Familie mit frischem Gemüse (vor allem Kartoffeln, Erbsen, Bohnen, Möhren), das ebenso wie die Ernte der verschiedenen Apfel-, Birnen- und Zwetschgenbäume zum großen Teil „eingeweckt“ wurde. Johannis- und Stachelbeersträucher sorgten für vitaminreiche Marmeladen im Winter.

Der Gemüsegarten wurde dann von meinen Eltern, in dem Maße, wie es in den 60er Jahren „Discounter“ und später Tiefkühlkost gab, nach und nach stillgelegt.  Wer einmal so einen Gemüsegarten von 500 Quadratmetern umgegraben hat, weiß, welch Plackerei das ist. Zwei der drei Birnenbäume wurden gefällt, sie waren zu groß geworden, so dass die Birnen den Fall aus mehr als 10 Metern Höhe nicht überstanden. Die Zwetschgenbäume wurden ebenfalls nach und nach gefällt – offenbar waren Zwetschgen im Glas bei „kafu“ oder später „Aldi“ preiswert und bequemer. Weshalb der herrliche Pflaumenbaum (vermutlich eine „Reine Claude“) weichen musste, weiß ich nicht. Die Beerenbüsche sind auch nicht mehr aufzufinden. Die Äpfelbäume sind hingegen heute fast alle noch tragend, besonders hervorzuheben seien hier der frühe „Gravensteiner“, der lange lagerbare rote „Boskop“ oder der „Jakob Leber“.

Meine Oma hat mir als kleines Kind auf ihrem Schoß sitzend immer viel vorgesungen. An was ich mich selber erinnere oder was mir durch Erzählungen erinnerlich ist, lässt sich dabei nicht genau unterscheiden. Ich erinnere mich noch gut an die klappernde „Mühle am rauschenden Bach“. Beim Refrain „Klipp-klapp“ klatschte sie dazu mit mir mit meinen Händen. Auch „Mariechen saß weinend am Brunnen“ kam vor, möglicherweise auch „Am Brunnen vor dem Tore“, auf jeden Fall aber „Das Wandern ist des Müllers Lust“, „In einem kühlen Grunde“ und „Im schönsten Wiesengrunde“. Ja, es war eine schöne, behütete Kindheit. Besonders bei Gewitter und wenn die Eltern nicht da waren, fühlte ich mich bei ihr im Bett „wie in Abrahams Schoß“ – auch so ein Ausspruch, meiner durchaus religiösen Großmutter.

Meine Großmutter war eine starke Frau. Sie hatte Lebensmut und hat meinem eher zögerlichen Großvater immer wieder Mut zu den Landkäufen auf Kredit gemacht. Mit ihrer beider Fleiß und Sparsamkeit waren das Haus in der Sagehorner Dorfstraße 79 (später 55) sowie die zugekauften landwirtschaftlichen Grundstücke bald abbezahlt. Heute gehört das mir. Das Haus steht nun schon seit drei Jahren leer. Es fällt mir schwer es zu verkaufen. Jede Woche gieße ich die Blumen, schaue nach dem Rechten und gehe einmal rund ums Haus. Einmal im Jahre bestelle ich Heizöl. Das Haus ist weiterhin sofort bewohnbar, auch wenn es nicht mehr unbedingt den heutigen Standards entspricht: Strom, Wasser, Gas. Nein, hierher zurückziehen werde ich nicht. Es hat sich zu viel verändert seit den Erinnerungen meiner Kindheit. Besonders die neue Umgehungsstraße direkt neben dem Haus hat für zu viel Lärm gesorgt.

Weil Eltern ihren Kindern meist nicht die gleiche Leistungskraft zutrauen, wurde auch kräftig auf meinem Namen gespart, „damit der Junge später auch mal studieren kann“. Meine Eltern konnten mir das Studium dann doch aus eigenen Mitteln finanzieren – und ich bekam als junger Erwachsener eines Tages in den 70er Jahren ein verzinstes Sparbuch mit vielen Tausend DM – ich kann bis heute nicht begreifen, wie eine solche Summe aus den wenigen finanziellen Mitteln der 50er Jahre  zusammengekommen ist. Leider habe ich von dieser sparsamen Lebensweise so gar nichts geerbt. Ich bin ganz offensichtlich die dritte Generation: Der ersten Tod, der zweiten Not, der dritten Brot.

Auch die jahrelange Krankheit – die Ärzte hatten ihr nur Monate gegeben – hat sie mit großer Geduld und ohne je zu jammern ebenso geduldig ertragen wie ihre Gehbehinderung (vermutlich eine Hüftarthrose – ich kenne meine Großmutter nicht ohne Stock) – „ein feste Burg ist unser Gott“, daran hat sie sich gehalten. Im Vergleich mit dieser Frau kann ich nur in Scham versinken: Weder habe ich ihre große Güte, noch ihre Zuversicht – und doch war ich  – „de vermuckten Bengel“ – zehn Jahre lang ihr ein und alles.

Das Mindeste, was ich tun konnte, war, ihren Namen an unsere ältere Tochter weiterzugeben und zu hoffen, dass Katharina auch sonst etwas von ihrer Urgroßmutter hat. Und ich selber kann nun 50 Jahre nach ihrem Tode nur von ganzem Herzen „Danke für alles, liebe Oma!“ sagen.

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2 Antworten zu In memoriam – Catherine Heidtmann

  1. Gerd Bertram sagt:

    Karl-Heinz ich kann bstätigen, dass deine Oma eine herzensgute Oma war, denn wenn ich die 2 Kühe vom Dobben (Wiese Nähe Sagehorner Bahnhof) geholt hatte gab es immer eine Scheibe selbst gebackenes Schwarzbrot mit leckerer Mettwurst gut belegt und einen Kessel mit Milch für uns zu Hause. Deine Großmutter hatte auch für jeden der dort kam ein gutes Wort. Ich kann mich eigentlich nur erinnern, dass sie überwiegend gesessen hat und kaum noch gehen konnte.
    Meine Oma sagte immer „Trina iss nee Allerleebste“.
    GHB

  2. Elly sagt:

    Ik heb net als Gerd Bertram de herninnering dat Oma Heidtmann altijd op haar stoel naast het fornuis zat en van daaruit de heleboel dirigeerde.
    Toen mijn ouders voor de eerste keer in Sagehorn kwamen, werd mijn vader bijna bij aankomst een braadpan in de handen gedrukt met het bevel Piet „stell dass im Keller“. De arme man wist niet eens waar de kelder was.
    Ik zelf moest tijdens de zomervakanties die wij in Sagehorn doorbrachten altijd het beslag voor de caken maken want ik had een goede „beslag hand“.
    Mooie herinneringen.

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