Gorch Fock – Betrachtung zur Lage der Marine

Foto: Felix König (creative commons license)

Als ehemaliger Zeitsoldat bei der Marine (1967-1971) (gut 2 ½ Jahre Seefahrt und davon 1 Jahr in USA) ist es mir ein großes Anliegen, zu den haarsträubenden Geschichten über Vorfälle auf der Gorch Fock Stellung zu nehmen.

Dass unsere Politiker unsachliche und beleidigende Kommentare abgeben, die jenseits von Gut und Böse liegen, ist allen Bürgerinnen und Bürgern schon lange bekannt. Da ist Hauen und Stechen angesagt, und unsere ach so mediengeilen „Vorbilder“ zeigen sich glücklich, wenn sie ihrem Gegenüber es mal wieder so richtig gezeigt haben.

Erstaunt hat es mich dann doch, dass in unserer Bevölkerung überwiegend kundige Seefahrer leben (alle auf Segelschiffen um Kap Horn geschippert und natürlich bei Windstärke 10 in den Rahen rumgewandert sind).

Spaß beiseite.

Wenn man zur See fährt (ganz egal auf was für einem Schiff), dann weiß man vorher nie genau was für Wetterbedingungen eintreten können. Nicht zu vergleichen mit Kreuzfahrten, bei denen möglichst bewusst versucht wird Schlechtwettergebiete zu umfahren. Das kann es sowohl bei der Handels- oder Bundesmarine nicht geben. Seefahrt ist harte und oft auch gefährliche Arbeit, bei der man ständig an seine Grenzen stößt. Jeder Einzelne muss sich den Bedingungen stellen, das weiß man, wenn man zur See fährt. Natürlich müssen sehr viele Dinge immer und immer wieder geübt werden, bis alle Handgriffe blind und in jeder nur denkbaren Situation sitzen. Das hat nun wahrlich nichts mit Drill zu tun, auch wenn einem manche Übungen teilweise zum Hals raushängen. Niemand möchte auf einem Kreuzfahrtschiff erleben, dass die Besatzung das Schiff (auch in schwierigen Situationen) nicht mehr im Griff hat.

Dieses gilt umso mehr für Schiffe und Boote der Marine. Ein Schiffsicherungslehrgang in Neustadt ist bestimmt kein Honigschlecken. Feuer im Schiff zu bekämpfen oder eine Leckabwehrübung im November (bei entsprechenden Wassertemperaturen und stetig steigendem Wasserstand) sind alles andere als lustig; doch es muss geübt werden; denn im Notfall muss jeder wissen, was er zu tun hat. Natürlich kommt es dann auch ein fünftes Mal vor, dass man vielleicht in die Wanten muss, weil nicht alle Handgriffe sitzen. Was vorher Übung war wird im Dienst Wirklichkeit, und man geht den Weg auch ein siebtes Mal, weil eine geänderte Wetterlage oder ein anderer Kurs dieses erforderlich machen. Dabei muss sich jeder auf seinen Nebenmann/-frau blind verlassen können. Das ist weder Drill noch Schikane.

Jemand, der mit der Materie nicht vertraut ist, der weiß auch nicht, dass die Besatzung bei der Seefahrt Tag und Nacht Wache geht (im 2er oder 3er Wachtörn je nach Besatzungsstärke und auf den zugewiesenen Stationen) und tagsüber eben auch den normalen Dienstbetrieb aufrecht hält. Wenn man dann in den Rahen auf wackeligen Tampen steht (allerdings angeschnallt), und es ist kalt und nass und es herrscht Seegang, dann kann man plötzlich nicht für sich entscheiden, dass man keine Lust mehr hat. Hier geht es im Ernstfall nicht um ein Leben, sondern um das der Besatzung (so hart das auch klingen mag).

Seefahrt ist nicht unbedingt ein „Event“ oder „Just for fun“, wie es heute immer so schön heißt. Bei manch einem kommen diese Gedanken schnell auf. Neues Kommando „Gorch Fock“ – super – da hat man immer schon von geträumt – und dann noch gleich nach Brasilien und ums Kap Horn – „bo eh – ist das geil – . Dann kommt plötzlich die Realität und das ganze „Vergnügen“ ist mit harter Arbeit verbunden. So war das aber nicht geplant. Wenn man sich dann noch darüber beschwert, dass man in einer Hängematte schlafen muss, dann hat man sich wohl irgendwie falsch erkundigt. Dazu sei all den vielen Fachleuten gesagt (die sich über derart unmögliche Bedingungen beklagt haben), dass wir uns oft eher eine Hängematte gewünscht haben; denn bei Seegang in einer normalen Koje schläft es sich erheblich schlechter – eine Hängematte ist dann weitaus besser. Zusätzlich dient eine sauber und exakt aufgerollte Hängematte im Notfall als gutes Rettungsmittel.

Natürlich ist der Ton auch schon mal eine Spur rauher, dass bleibt bei dem nicht immer leichten Dienst nicht aus. Wenn man sich dann als Frau sittlich belästigt fühle, wenn es mal zu derben Sprüchen kommt, dann muss man sich vorher überlegen, welchen Beruf man für sich auswählt. Dieses ist nun wahrlich ein Thema, das ebenso für viele andere Berufe gilt. Wobei damit nicht gesagt werden soll, dass das so sein muss und zu entschuldigen ist. Selbstverständlich kommt es zu Verletzungen, und wenn es ganz unglücklich läuft auch zu Todesfällen. Das wünscht sich natürlich niemand, ist jedoch nie auszuschließen. Wer sich darüber aufregt, ist bei Sturm bestimmt noch nie zur See gefahren. Auf der Straße passieren täglich Unfälle – auch mit schweren Verletzungen oder Todesfällen – sollen wir deshalb das Autofahren verbieten?

Gerade in der Seefahrt gibt es viele Rituale und Traditionen, die dem Außenstehenden merkwürdig oder überholt vorkommen mögen. Der „Besanschot an“ galt von je her als eine Auszeichnung für eine gelungene Leistung – und die Taufe (ob nun Äquator oder Polarkreis oder Kanal usw.) ist ebenfalls als ein bekanntes Ritual (selbst auf Kreuzfahrtschiffen). Da kann man natürlich darüber streiten, wie mies und ekelig so eine Geschichte ablaufen sollte. Gerade in der heutigen Zeit lebt doch die Gesellschaft davon alles immer noch mehr und mehr zu überziehen. Diese Entwicklung macht dann auch vor solchen Aktionen nicht halt. Es ist allerdings erstaunlich, dass eine Gesellschaft, die abendlich eine ziemlich perverse Sendung wie „Dschungelcamp“ (oder so ähnlich) mit Genuss verkonsumiert, sich plötzlich bei der Marine darüber aufregt. Das gilt dann ebenso für den angeblich an Bord herrschenden beleidigenden Umgangston. In einer Sendung mit Herrn Bohlen sind Beleidigungen, die teilweise auch unter die Gürtellinie gehen und Diskriminierung junger Menschen offensichtlich normal. Da ist es dann wieder ein unterhaltsames Fernsehprogramm. Oh, wie heuchlerisch gehen wir doch miteinander um.

Diese Diskussion und dieser Beitrag könnte endlos weiter gehen; denn mit den wenigen Andeutungen ist noch lange nicht alles gesagt. Unsere Jahrgänge (1947) könnten hunderte von Leuten (nach heutigen Maßstäben) anzeigen. Auf die Idee ist nur nie jemand gekommen; denn wir wussten, dass es härter wird und wir oft an unsere eigenen Grenzen gehen mussten, und das hat nichts mit Kadavergehorsam zu tun (wer so einen Wortschatz gebraucht, der sollte lieber vorher darüber nachdenken, was er sagt). Es hat sicher keine „Meuterei“ gegeben. Auch hier gilt, dass man bei derartigen Aussagen vorher nachdenken sollte (bei Meuterei denkt doch jeder gleich an Säbelrasseln und hat die „Meuterei auf der Bounty“ im Sinn). Es ist nur schade, dass betroffene Eltern dann zu Äußerungen getrieben werden, die fernab von der Realität sind (heute zu dick, morgen zu dünne, dann nicht fit, dann zu klein usw.). Politik, Medien, Anwälte und Teile der Gesellschaft schwingen sich zu immer wilderen Argumenten auf, die sich fern jeder Wahrheit bewegen. Niemand wünscht sich schwere Unfälle oder gar Todesfälle in seinem Beruf, und hat mit derartigen Vorkommnissen wahrlich genug mit sich selber zu tun, um das Erlebte zu verkraften. Gerade in solchen Fällen sind Sachlichkeit und Fairness angesagt.

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2 Antworten zu Gorch Fock – Betrachtung zur Lage der Marine

  1. Nico sagt:

    Welch wahre Worte! Vielen Dank für Ihre Sachlichkeit, Fairness zur Wahrheit und Klarheit

  2. Dieter Osmers sagt:

    „Seefahrt ist Not“, so heisst ein Roman des Namensgebers des schoenen
    Schulschiffs der Marine.
    Warum stehen Kommentare wie der von H.-W.Kleindiek nicht in den grossen Tagesszeitungen Deutschlands?
    Stattdessen schreiben Skandaljournalisten lauter Unwahrheiten, Halbwahrheiten
    und Verfaelschungen der Tatsachen. Ich unterstelle diesen Journalisten entweder
    Skandalgeilheit, weil sich das gut verkauft, oder sie haben schlichtweg keine Ahnung.
    Im In- und Ausland ist der Eindruck entstanden, dass die Soldaten/innen auf der Gorch Fock schikaniert und nicht nach den Vorschriften behandelt worden sind.
    Jeder Soldat hat die Moeglichkeit der Beschwerde, ausserdem hat er die Pflicht bei einer Uberforderung seiner koerperlichen und geistigen Kraefte den Vorgetzten zu informieren. Gegebenenfalls muss er dann den Dienst quittieren.
    Ich bin zwar nicht auf einem Segelschulschiff der Marine gefahren, aber ich habe einige Segeltoerns bei Clipper auf verschiedenen Segelschiffen mitgemacht.
    http://www.clipper-djs.org/schiffe/?id=297
    Die Segeltoerns fanden ausschliesslich auf der relativ harmlosen Ostsee statt.
    Mit ca. 25 Auszubildenden an Bord, von denen ca. die haelfte meistens Seekrank waren, sind wir doch bis nach Kopenhagen und Bornholm gekommen.
    Trotz vorheriger Auswahl der Teilnehmer mit Informationen ueber das Leben an Bord (3 Wachen), Knoten etc. und Hinweis auf erforderliche Seefestigkeit, haben wohl immer noch einige Teilnehmer geglaubt sie wuerden an einer gemuetlichen Butterfahrt teilnehmen.
    Weitere Details moechte ich dem Leser ersparen

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