Eitelkeit – lässlich?

Da hat der Mensch schon alles, was er besitzen kann – und doch reicht es ihm nicht. Der Eine möchte als alter Staatspräsident und alter Knacker junge Mädchen vernaschen, der Andere möchte zu seinem Adelstitel und Ministerrang noch den Doktorgrad. Der alte Greis lässt sich bei seinem jährlichen Ball die sündhaftesten oder doch zumindest teuersten Weiber der Welt einfliegen.

Die Eitelkeit (lat. vanitas) des Menschen ist offenbar nach oben hin ähnlich offen wie die Richterskala. Sie gilt gemeinhin als Laster, bei den Katholiken gar als Todsünde. Trotzdem findet man die Eitelkeit allerorten. Wer eitel ist, der will besser dastehen als er ist. Der Eitle will von anderen bewundert werden, zum Beispiel wegen seiner körperlichen Attraktivität, seiner Durchsetzungsstärke, Redegewandtheit, Bildung, seines neuen Auto, seiner schmucken Villa, seiner tollen Freundin oder eben seines Doktortitels.

Im Gegensatz zum stolzen Menschen will der eitle Mensch auch für Eigenschaften oder Attribute bewundert werden, die er gar nicht hat. Der Luxemburger Professor für Neue Politische Ökonomie an der Universität Freiburg in der Schweiz, Guy Kirsch, hat dazu eine interessante These aufgestellt: „Der Stolze möchte bewundert werden, etwa weil er ein Buch geschrieben hat; der Eitle erwartet die Bewunderung seiner Mitmenschen, weil ein Buch veröffentlicht worden ist, auf dessen Einband sein Name prangt, das aber in Tat und Wahrheit ein namenloser Skribent produziert hat.“

Doch möglicherweise hat der Minister auch gar nicht gelogen, als er versicherte, die Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen in langen Jahren als junger Familienvater neben seiner Abgeordnetentätigkeit verfasst zu haben. Es ist ja nicht auszuschließen, dass jemand ihm „zugearbeitet“ hat. Nur hat dieser Helfer dem Minister nicht verraten, dass er abgeschrieben hat! Damit hat der Minister offenbar nicht gerechnet.

Dass er als jemand „aus gutem Hause“ nicht den Anstand hat, angesichts der inzwischen ans Tageslicht gekommen Wahrheiten, von seinem Amt zurückzutreten, wirft ein schräges Licht entweder auf den Zustand des deutschen Niederadels oder auf die Person selber. Da sind andere Personen des öffentlichen Lebens wegen geringerer Vergehen freiwillig und sofort zurückgetreten – es reichte eine Alkoholfahrt oder das Übersehen eines Spions im Arbeitsumfeld.

Guy Kirsch sagt, der Eitle sei nichts weiter als ein Schaumschläger und scheue ggf. selbst vor Betrug nicht zurück. Nicht zu fassen, oder?

Bereits Andreas Gryphius (1616-1664) hat schon vor knapp 400 Jahren ein eindringliches Gedicht über die menschliche Eitelkeit geschrieben:

Vanitas! Vanitatum Vanitas!

Die Herrlikeit der Erden
Muss Rauch und Aschen werden,
Kein Fels, kein Aertz kann stehn.
Dies was uns kann ergetzen,
Was wir für ewig schätzen,
Wird als ein leichter Traum vergehn.

Was sind doch alle Sachen,
Die uns ein Hertze machen,
Als schlechte Nichtikeit?
Was ist des Menschen Leben,
Der immer umb muss schweben;
Als eine Phantasie der Zeit?

Der Ruhm nach dem wir trachten,
Den wir unsterblich achten,
Ist nur ein falscher Wahn.
So bald der Geist gewichen:
Und dieser Mund erblichen:
Fragt keiner was man hier getan.

Es hilft kein weises Wissen,
Wir werden hingerissen,
Ohn einen Unterscheid.
Was nützt der Schlösser Menge?
Dem hie die Welt zu enge,
Dem wird ein enges Grab zu weit.

Dies alles wird zerrinnen,
Was Müh‘ und Fleiß gewinnen
Und saurer Schweiß erwirbt:
Was Menschen hier besitzen,
Kann für dem Tod nicht nützen,
Dies alles stirbt uns, wenn man stirbt.

Ist eine Lust, ein Schertzen
Dass nicht ein heimlich Schmertzen
Mit Hertzens-Angst vergällt!
Was ists womit wir prangen?
Wo wirst du Ehr‘ erlangen
Die nicht in Hohn und Schmach verfällt?

Was pocht man auf die Throne?
Da keine Macht noch Krone
Kann unvergänglich sein.
Es mag vom Todten Reien,
Kein Zepter dich befreien.
Kein Purpur, Gold, noch edler Stein.

Wie eine Rose blühet,
Wenn man die Sonne siehet,
Begrüssen diese Welt:
Die eh der Tag sich neiget,
Eh sich der Abend zeiget,
Verwelkt, und unversehns abfällt:

So wachsen wir auf Erden
Und hoffen groß zu werden,
Und Schmertz- und Sorgen frei:
Doch eh wir zugenommen,
Und recht zur Blüte kommen,
Bricht uns des Todes Sturm entzwei.

Wir rechnen Jahr auf Jahre,
In dessen wird die Bahre
Uns für die Thür gebracht:
Drauf müssen wir von hinnen,
Und eh wir uns besinnen
Der Erden sagen gute Nacht.

Weil uns die Lust ergetzet
Und Stärke freie schätzet,
Und Jugend sicher macht;
Hat uns der Tod bestricket
Die Wollust fort-geschicket
Und Jugend, Stärk und Mut verlacht.

Wie viel sind itzt vergangen!
Wie viel lieb-reicher Wangen,
Sind diesen Tag erblasst?
Die lange Räitung machten,
Und nicht einmal bedachten,
Dass ihn ihr Recht so kurz verfast.

Auf Hertz! wach‘ und bedenke
Dass dieser Zeit Geschenke,
Den Augenblick nur dein.
Was du zuvor genossen?
Ist als ein Strom verschossen,
Was künftig: wessen wird es sein!

Verlache Welt und Ehre,
Furcht, Hoffen, Gunst und Lehre,
Und fleuch den HErren an.
Der immer König bleibet:
Den keine Zeit vertreibet:
Der einig ewig machen kann.

Wohl dem der auf ihn trauet!
Er hat recht fest gebauet,
Und ob er hier gleich fällt:
Wird er doch dort bestehen,
Und nimmermehr vergehen
Weil ihn die Stärke selbst erhält.

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