(Gastbeitrag von Hans-Werner Kleindiek aus Münster)
Nun, die Fernsehsendung im ZDF (Sonnabend) ist ja wohl eine Geschichte für den
Z(w)eitgeist; denn für mich trifft genau dieses Wort zu: So ein Unglück war doch abzusehen! Ich musste mir den Quatsch zum Glück nie ansehen – wie noch so einige andere Sendungen – doch wie ich es mitbekommen habe (nach dem Wochenende war die Presse doch immer voll), und wie man der Presse entnehmen konnte, wurden die Spielchen immer verrückter: Nervenkitzel, kaum noch zu steigern – und dennoch geht der „Turmbau zu Babel“ immer weiter – das nennt man wohl „Zeitgeist“! Das soll jetzt keiner so entsetzt tun, denn genau aus diesem Grund gehen die Leute doch (mit Ausnahmen) dahin und genau das ist doch erforderlich für die „Quote“.
Es müssen ständig neue Steigerungen her. Ich warte förmlich auf die ersten Gladiatorenkämpfe bei denen es um Leben und Tod geht. Das mag für manch einen befremdlich und überzogen klingen, doch was ist es anderes? Und es wird weitere Sendungen erwischen. Es wird sehr bald auf irgendeinem Jahrmarkt (oder auch bekannt als Kirmes oder Send, je nach Mundart) passieren – auch dort wird das Angebot immer gefährlicher und verrückter. Es wird passieren in einem dieser riesigen Vergnügungsparks (ebenfalls immer mehr Nervenkitzel), das ist vorprogrammiert. Und wir werden immer verrückter: Es muss doch alles zu toppen sein! Dass genau wird auch wohl der Reiz bei vielen Sportarten sein: nur darauf zu warten, dass endlich mal was Sektakuläres passiert. Und dann sind alle ganz bestürzt – doch es füllt die Kassen.
Und dann der so sehr betroffene Vater – da lache ich doch drüber! Warum macht er das Spielchen denn mit? Wenn das einer meiner Jungs gewesen wäre, dann hätte ich versucht, es ihm auszureden – und wenn das nicht geklappt hätte (was in den meisten Fällen zu erwarten gewesen wäre), dann wäre ich zumindest nicht mit aufgetreten. Die Jugendlichen (und natürlich auch Erwachsenen) sind doch alt genug!
Es mag sein, dass ich etwas überziehe (wie meine Söhne natürlich sagen), doch so ein Thema verlangt es: Es ist ein gesellschaftliches Problem (genau wie die Spielhallen, in denen alle mal Krieg spielen darf – richtig aufeinander schießen, wenn auch nur mit Farbbeuteln); wenn man Soldaten als potentielle Mörder bezeichnet, was bitte ist dann das? Und diese Spielchen sind „normal“. Verbietet jemand diesen Wahnsinn? Da stehen Arbeitsplätze auf dem Spiel, eine ganze Wirtschaft profitiert davon.
Wie gut, dass ich das nicht mitmachen muss. Allein wenn ich mir die Kritiken in manchen Fernsehzeitungen ansehe, bekommt dort alles, was normal ist (ohne Aktion und reihenweise Morde in der Art von Abschlachten und endlose Schlägereien und Autojagden und Explosionen ohne Ende) schlechte Noten und den Stempel „langweilig“ – wie heute in einer Radiosendung jemand spontan von einem „Betriebsunfall“ sprach – so einfach ist das!
Ich bin außer mir über so viel Schwachsinn und die ganze Heuchelei unserer Gesellschaft!
Jetzt sehe ich mir einen „langweiligen“ Naturfilm an.
Höher, schneller, weiter, perverser……..
Der Mensch stumpft angesichts immer spektakulärer Aktionen im Fersehen, Kino
oder anderswo immer mehr ab. Es muss dann ein noch aufregender Stunt her, wie es ja Neudeutsch heißt, um noch den richtigen „Kick“ zu erfahren. Wenn es keine Massenkarambolage bei Formel 1 mit reichlich Kleinholz gegeben hat, dann war das ein ödes Rennen. Und es muss reichlich Blut spritzen. Wo soll das hinführen?
Die Alten Römer waren vor ihrem Untergang in einer ähnlichen moralischen Verfassung, indem sie Sklaven in einer Arena von Löwen zerreissen liessen.
Leider gehören nicht allzuviele der Bildungsschicht an, die sich „langweilige“ Naturfilme anschauen.
Nun, die Psychologie kennt, soweit ich weiß, zwei Motivatoren: Angst und Anerkennung (eigentlich „Liebe“, aber das klingt ja viel zu unwissenschaftlich).
Tatsächlich ist die Auseinandersetzung mit Gefahren bzw. die sie auslösenden (ur-)eigenen Ängste wichtig für die eigene Entwicklung, um nicht Reifung zu sagen. In anderen, sog. primitiven Kulturen, gibt es entsprechende Rituale, die teilweise als Initiation in einen neuen Lebensabschnitt verstanden werden können.
Es gibt Theorien, die besagen, daß junge Menschen, denen solche Übergangsriten fehlen, sie anderweitig ersetzen; das scheint Bestätigung zu finden, wenn man sich die jeweilige Jugend anschaut: Heute ist es Koma-Saufen, zu meinen Zeiten war es das S-Bahn-Surfen und zu Zeiten meiner Eltern waren es die nächtlichen Autorennen ohne Beleuchtung und Führerschein. Die jeweilige Erwachsenengeneration stand und steht stets nur kopfschüttelnd daneben.
In unserer (angeblich so) modernen Gesellschaft fehlen solche Rituale und Gefahren werden durch Sicherheitsmaßnahmen minimiert, was zu einer trügerischen Sicherheit führen kann. [Nebenbei bemerkt: Das Gegenteil, also die Risiko- bzw. Gefahrenreduktion, kann auch dann einsetzen, wenn man Sicherheitsmaßnahmen zurückführt. Klingt widersprüchlich? In der Tat, doch googlen Sie mal unter dem Stichwort ’shared space‘.]
Glaubt man den Psychologen, so haben wir alle ausnahmslos zu wenig (elterliche) Liebe erhalten und sind demzufolge süchtig nach Anerkennung. Ein Leben lang. Medien begünstigen diese Sucht, sei es in Form von Werbung für Produkte, damit andere einen mögen, oder sei es die Möglichkeit, sich selbst zu präsentieren.
Sich für ein bißchen Anerkennung in Lebensgefahr zu begeben, ist ergo eine recht komplexe Angelegenheit; vor allem ist es höchstbedenklicher Ausfluß einer Gesellschaft, die Profit über Personen stellt.
Lieber Peer Wichary, das nenne ich einen bemerkenswerten Kommentar! Vielen Dank dafür!