Es hat sie immer gegeben, die Technikfeinde. Noch jede revolutionäre Neuerung hatte ihre Gegner. Als die erste Dampflok getriebene Bahn mit ca. 30 km/h von Nürnberg nach Fürth fuhr, warnten Eiferer davor, dass der darin reisende Mensch drohe, seinen Verstand zu verlieren.
Die SZ von heute berichtet unter der Überschrift „Völlig losgelöst“ über eine Gruppe von Widerstandskämpfer gegen die neuen Errungenschaften des Internet. Mancher von ihnen träumt davon, das Internet einfach abzuschalten und meinen, das würde den Menschen guttun: Keine eMail (stattdessen Briefe wieder ausschließlich bei der gelben Post „aufgeben“), keine Bücher usw. mehr bei amazon usw. kaufen (dafür der zähe Kampf mit der 400-Euro Kraft im alternativen Buchstübchen darüber, wie man den Namen des Autors Martin Walser schreibt und die Verzweifelung angesichts völlig disparater Öffnungszeiten des Einzelhandels), kein Online-Banking mehr (stattdessen wieder Überweisungsformulare mit Durchschrift ausfüllen, ökobilanzneutral mit dem Rad zur Bank fahren und anspruchslose Arbeitsplätze für deren Verwaltung bei Sparkassen und Banken schaffen).
Ich frage Sie, wer will denn das?
Gewiss, mancher übertreibt es tatsächlich – und kann sich ein Leben ohne twitter nicht mehr vorstellen – dafür aber ohne Frau und Kind.
Andere machen das Internet für die moderne „Aufmerksamkeitsdefizit / Hyperaktivitätsstörung (ADHS)“ verantwortlich, doch der „Zappelphilipp“ wurde bereits 1845 ge- bzw. beschrieben. Und auch Tom Sawywer müsste im Nachhinein Hyperaktivität bescheinigt werden. Unsere Aufmerksamkeit wird naturgemäß ständig unterbrochen. Doch man kann das eMail Programm auch so einstellen, dass es sich NICHT meldet, sobald eine eMail eingegangen ist – und dafür in einem beliebigen Intervall nachschauen, ob und wer einem denn geschrieben habe, so wie man es vom traditionellen und keineswegs obsoleten Briefkasten her kennt.
Der Fortschritt, sagen manche durchaus zu Recht, sei ein Nullsummenspiel, man gewinne an einer Stelle, um an anderer zu verlieren.
Mit manchen Menschen hätte ich nicht so häufig Kontakt, gäbe es die eMail nicht. Nein, mit meinem „Sie-Freund“ HW würde ich keinesfalls jeden Tag telefonieren. Überhaupt haben wir in zehn Jahren maximal zehn Mal miteinander telefoniert. Aber kaum ein Tag vergeht, dass wir einander nicht schreiben. Das Schreiben ist eine tradierte Mitteilungsform, bei der sich Gedanken langsam verfestigen können. Anders als beim handgeschriebenen Brief erlaubt die eMail gar, diese Gedanken vorm Absenden ohne Aufwand kreativ neu zu sortieren oder mit Anlagen wie Bildern zu versehen.
Das Schreiben ist ähnlich kreativ wie jede andere Kunstform, und auch der Hobby-Aquarellist kann sich an seiner Kunst delektieren. Das Lesen ist seit je her eine eher kontemplative Tätigkeit, denn es braucht Ruhe und Konzentration. Und das Schreiben bietet wohltuende Distanz.
Nichts an sich ist gut oder böse, allein der Mensch macht es dazu.
Moderater Gegenvorschlag: Wir stellen alle Uhren ab. Oder zumindest lassen wir die im öffentlichen Raum verschwinden. Dann wäre Schluss mit der Unrast! Doch auf die Idee käme niemand. Schon Peter-Paul Zahl hatte einst in seinem Buch „Die Glücklichen“ festgehalten, dass Kapitalismus gar nur möglich sei durch die Erfindung einer Sonderform der Uhr, des Weckers nämlich!
Übrigens ist das mit den übereifrigen Gegnern der Dampfeisenbahn eine immer wieder gern zitierte Legende, oder gibt es mittlerweile einen zeitgenössischen Beleg über ein Gutachten oder Zeitungsartikel mit diesem Inhalt?