Warum wir uns Joseph als tragischen Statisten vorstellen müssen

Der Zimmermann Joseph wohnt schon seit Jahren in Jerusalem. Er ist als Baumeister (tekton) im Tempel tätig. Dort lernt er auch Maria kennen, die Tochter von Freunden aus Nazaret. Deren Eltern arrangieren eine Verlobung mit Joseph.

Als ihm seine junge Verlobte Maria kurze Zeit später berichtet, dass sie schwanger sei, weiß er, dass das Kind nicht von ihm sein kann. Das nagt erheblich an seinem Ehrgefühl. Bei den Israeliten galt ein verlobtes Paar als gebunden und so gut wie verheiratet, und es hatte erst Geschlechtsverkehr, nachdem die Hochzeitsformalitäten erfüllt worden waren. In der Regel heirateten jüdische Mädchen mit 14 Jahren. Die Tatsache, dass Maria vor der Hochzeit schwanger war – und das nicht von ihrem zukünftigen Ehemann – warf mit Sicherheit einige Fragen auf.

Nach jüdischen Recht hat Joseph nun zwei Möglichkeiten: Er kann einen Ehebruchsprozess anstrengen oder die Ausstellung eines Scheidebriefs verlangen. Beides würde für erhebliches Aufsehen und Öffentlichkeit sorgen.

Für Maria hätte das schwerwiegende Konsequenzen: Ohne einen Mann konnte sich eine junge Frau in der damaligen Zeit nicht versorgen. Sie wäre arm und rechtlos geworden. Wenn ihre Eltern sie aufgrund dieser Schande (offenbar mit einem Mann geschlafen zu haben, der nicht ihr Ehemann war) auch nicht mehr aufgenommen hätten, wäre sie wohl in die Prostitution geraten – damals für solche Frauen beinahe die einzige Möglichkeit, zu überleben. Er beschließt deshalb, Maria heimlich zu verlassen und in eine andere Stadt zu gehen.

Daran ändert auch Marias  Traum nichts, von dem sie ihm berichtet, in dem ihr ein Engel (Gabriel) erscheinen sei und ihr angekündigt habe, dass sie ein Kind gebären solle, ohne geschwängert worden zu sein. Joseph hat über die „Jungfrauengeburt“ vermutlich nur müde gelächelt, denn in dieser Hinsicht war man schon vor 2000 Jahren zu aufgeklärt, als dass man eine solche haarsträubende Geschichte geglaubt hätte.

Dass Joseph ein steinalter Mann gewesen sein soll erklärt sich aus der kirchlichen Vorstellung, dass Maria eine Jungfrau geblieben sein soll. Bei einem jungen Ehemann konnte man sich das schwerer vorstellen als bei einem alten „väterlichen“ Ehemann. Die Geschwister Jesu, wurden dann als Stiefgeschwister erklärt, die Joseph in die Ehe mitgebracht haben soll. Irgendwelche Hinweise dafür gibt es in der Bibel nicht.

Doch dann erscheint laut Evangelist Matthäus auch Joseph ein Engel im Traum und erklärt ihm nüchtern, was es mit der Schwangerschaft auf sich habe. Der Engel befiehlt ihm, seine Verlobte als Frau zu sich zu nehmen, denn was sie empfangen habe, sein vom „Heiligen Geist“ – jenem neben „dem Vater und dem Sohne“ ab nun dritte Mitspieler in der christlichen Führungstroika.

Das hätte der solide Joseph (hebr.: „er fügt hinzu“ – nämlich ein Kind zu seiner Familie) sich nun wirklich nicht „träumen“ lassen! Doch er akzeptiert die uneindeutige Situation, nimmt Maria zur Frau und bekennt sich zu Vaterschaft und seiner biblischen „Patchworkfamilie“ – er selbst stammt offenbar auch aus einer solchen, hat einen leiblichen und einen rechtlichen Vater, denn er stammt aus einer Leviratsehe. Das Levirat (Schwagerehe; von altlat. levir = „Schwager“) bezeichnet die Ehe einer Witwe mit dem Bruder ihres verstorbenen Mannes. Sie tritt als Schutzbestimmung für die Erhaltung der erbberechtigten männlichen Nachkommenschaft einer israelitischen Familie im mosaischen Gesetz auf.

Im Lukas- und Matthäusevangelium tritt Josef ausschließlich in der Kindheitsgeschichte Jesu auf. Daraus schließt man, dass er noch vor dem öffentlichen Auftreten Jesu gestorben sei. Über die Rolle als Statist kommt er – anders als Maria – in dieser Geschichte nicht hinaus.

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