Videokonferenz – coram publico

Dass inzwischen aller Orten vor aller Ohren öffentlich am „Handy“ geschäftlich Vertrauliches oder die gesamte Privatsphäre enthüllt wird, daran habe ich mich zwar durchaus nicht gewöhnt, aber zähneknirschend abgefunden.

Jüngst erlebte ich die nächste Steigerungsstufe. Eine Gruppe vier Personen sitzen im Hotelrestaurant zwei Tische weiter. Zwei Deutsche, zwei Nationalchinesen (Taiwan). Man unterhält sich angeregt. Ich erfahren vieles, was ich besser nicht wissen sollte, doch man kann zwar wegschauen, nur leider nicht weghören. Die deutsche Frau mit den 12 cm hohen „Stilettos“ hat am 5. November Geburtstag. Ihr chinesisches Sternzeichen ist „Ratte“ (ich wusste es!), von dem sie gegenüber den gelbhäutigen Kollegen aus Taipeh behauptet, sie seien „very sexual“ (ich glaube ihr aufs Wort!).

Im Hintergrund des Tisches steht ein Laptop, an dem der männliche Chinese sich ab und zu schaffen macht. Ein Weile später, weiß ich, was er dort tut: Er nimmt über Skype Kontakt zu einem Landsmann auf. Die Verbindung steht, alle sind hellauf aus dem Häuschen. Das ganze Restaurant hört der extrem lauten Übertragung zu. Banalitäten werden ausgetauscht. Der Chinese spricht gut deutsch, die Hochhackige spricht fließend chinesisch. Das Gespräch dauert unendlich lange.

Ich lasse die restlichen Tortellini auf dem Teller zurück, zahle und gehe. Einen Augenblick hatte ich erwogen, zu intervenieren. Aber da steht man dann doch nur als Trottel da.

Wenn das so weitergeht, kann ich auch nicht mehr auswärts essen gehen. „L‘ enfer, c‘ est les autres!“, schrieb einst Jean-Paul Sartre. Wie wahr!

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