Es waren viele dunkle Jahrhunderte, in denen die christliche Kirche jeden Versuch, die Welt zu erklären, notfalls brutal und grausam unterdrückte. Es war die Vernichtung des Geistigen durch das Geistliche.
Die Chinesen und Japaner haben eine jahrtausende alte Wissenschaft bewahren können und können noch heute davon zehren (einmal abgesehen von dem, was die „Kulturrevolution“ in China zerstört hat).
Ganz anders bei uns Westeuropäern, denen die christliche Kirche die Erkenntnis schon im AT verboten und alle aufklärerischen Werke verbannt oder verbrannt hat. Bis weit in das 18. Jahrhundert wurden „Ungläubige“, „Ketzer“, „Hexen“ und „Häretiker“ verfolgt, gefoltert oder öffentlich hingerichtet. Wir entsinnen uns, das Galilei seine Theorie von der Erde als drehende Kugel, die so gar nicht das Zentrum der Welt ist, widerrufen musste (auch wenn er dabei „Eppur si muove!“ gemunkelt haben soll).
Spätestens seit Max Webers „Münchener Reden“ wissen wir, dass mit dem Siegeszugs der empirischen Wissenschaften Mythen und Wunder prinzipiell und rational erklärbar sind.
Die Aufklärung hat den christlichen Glauben ausgehöhlt.
Die geheimnisvolle Dämmerung ist dem künstlichen Tageslicht gewichen.
Das Leben wird durch Rationalisierung entzaubert.
Heute gab es mal einen Pfarrer, der sich traute, Kritik an der Instanz Kirche und Kirchenamtsinhabern zu üben – Worte, die gleichermaßen für religiöse und nicht religiöse Menschen gelten können
Das Wort zum Sonntag vom 30. Oktober 2010,
gesprochen von Stefan Claaß
Gegen den Strom
Mehr Religion bringt mehr Streit und Konflikte in unsere Gesellschaft. So denkt die Mehrheit der Befragten in einer aktuellen Untersuchung. Aber ist Streit nur negativ? Ich glaube, es kommt darauf an, wie man streitet. Übel und erbärmlich finde ich es, wenn Religion dazu missbraucht wird, andere zu bevormunden, zu manipulieren und gering zu schätzen.
Positiv erlebe ich, wenn Gewissen und Glaubensüberzeugung uns dazu bringen, für die Würde von Menschen und Schöpfung einzustehen. Ich glaube sogar: Es gibt Situationen, in denen wir um Gottes willen Streit anzetteln müssen!
Mutige Antworten auf Zukunftsfragen finden wir nicht immer in glatten Mehrheitsentscheidungen. Tun, was alle tun, denken, was alle denken, das kann auch verhängnisvoll sein. Hinterher sind wir oft dankbar für die, die gegen den Strom geschwommen sind.
In der DDR zum Beispiel, als es noch die Zukunft gekostet hat, eine eigene Meinung zu vertreten oder sich zu seinem Glauben zu bekennen. Oder in Fragen der Ökologie, der Bewahrung der Schöpfung. Heute ist es ein breiter Strom der Einsicht – vor vierzig Jahren sind Herbert Gruhl, Hermann Scheer, Petra Kelly und andere Einzelkämpfer gewesen für ökologisches Bewusstsein und gegen massenhaftes Verbrauchen unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Wie gut, wenn einige Menschen immer wieder gegen den Strom schwimmen. Ja, wer zur Quelle will, muss gegen den Strom schwimmen.
Vor 500 Jahren sind Martin Luther und andere diesem Aufruf unter Humanisten und Querdenkern gefolgt: Ad fontes! Zu den Quellen! Was ist der Ursprung christlichen Glaubens und Lebens? Im Lauf der Jahrhunderte hatte sich eine Menge an Traditionen, religiösen Zwängen und Manipulationen angesammelt wie in einem großen Strom. Die Frage war: was stammte wirklich aus der Quelle Gottes und was aus menschlichen Fantasien? Damals hat das Schwimmen gegen den Strom in der Tat Streit und schwere Konflikte in die Gesellschaft gebracht. Aber langfristig haben Katholiken und Protestanten von dieser Flussbereinigung profitiert. Tragischerweise ist das verhängnisvolle Verhalten gegenüber den Juden nicht erkannt und bereinigt worden.
Darum ist neben dem Suchen und Finden die dritte Eigenschaft des Glaubens so wichtig: das Zweifeln. Wenn Glaube nicht aus meinen eigenen Wünschen resultiert, sondern aus der Quelle Gottes stammt, dann muss er mich immer wieder dazu bringen, mich selbst in Frage zu stellen.
Wenn man mich gefragt hätte, ob ich mir mehr Religion in unserer Gesellschaft wünsche, dann hätte ich gesagt: Wenn sie mir hilft, unsere Lebensgewohnheiten in Frage zu stellen, dann schon. „Wenn sie uns nicht auf unsere Fehler festnagelt sondern uns hilft, zu vergeben, dann schon. Wenn sie uns andere Wertmaßstäbe schenkt als Geld, dann schon“. Dann vertraue ich darauf, dass wir dem näher kommen, was Jesus Christus verheißen hat: Selig sind, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, sie sollen satt werden.
Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Reformationsfest!
Es kam und kommt auch in Westdeutschland sehr oft vor, dass es die Zukunft und die Gesundheit kostet, eine eigene Meinung zu vertreten.
„Die Aufklärung hat den christlichen Glauben ausgehöhlt.
Die geheimnisvolle Dämmerung ist dem künstlichen Tageslicht gewichen.
Das Leben wird durch Rationalisierung entzaubert.“
Genau aus diesen Gründen verlassen viele Menschen ihre Heimatdörfer.
Wolf-Dietmar Stock hat gerade seinen Dorf-Roman vorgestellt. Zu seinem Buch sagt er: Viele Menschen verlassen ihr Dorf, weil sie nicht die Schätze sehen, die sich dort befinden. Ein Buch gegen die Rationalisierung. Alles muss heutzutage clean sein, durchgestylt und nach Planfeststellungsverfahren funktionieren. Es gibt immer weniger natürliche Wiesen, Flussauen, Feldwege und Bäume – dafür immer mehr Maisfelder.
Es geht um Dinge, für die schon bei Kindern ein Bewußtsein und Verständnis entwickelt werden sollte. Kein Kind würde von sich aus auf die Idee kommen, lieber Genmais essen zu wollen oder Kühen die Hörner abzusägen.
Eltern, versucht nicht, die Schätze eurer Kinder weg zu putzen und weg zu rationalisieren, weil sie euch nicht gefallen und sie nicht euren Vorstellungen entsprechen. Vielleicht sind es auch eure Schätze, über die ihr dann als ältere Herren im gereiften Alter Bücher schreibt.